Ein Video von Aktionen in Landau gibt es hier [und am Ende des Beitrags]
(Teile des Videos wurden uns anonym zugesendet)
Heute jährt sich der Mord an Oury Jalloh zum 18. Mal. Der aus Sierra Leone geflüchtete 37-Jährige verbrannte am 07.01.2005 in einer Gewahrsamzelle des Polizeireviers Dessau, Sachsen-Anhalt.
Laut Polizei soll sich der fixierte Oury Jalloh selbst angezündet haben. Diese Aussage zum Tathergang wurde von Anfang an angefochten und wird nun von einem unabhängigen Gutachten ganze 16 Jahre später widerlegt: Oury Jalloh kann sich eindeutig nicht selbst angezündet haben, er wurde von Polizisten schwerst misshandelt, fixiert, mit bis zu 2,5 Litern Benzin übergossen und dann angezündet. Das neue Gutachten im Fall Oury Jalloh bestätigt, wovon antirassistische Gruppen schon seit 2005 ausgehen: bei seinem Tod handelte es sich um Mord, welcher von Polizisten in einer Polizeidienstelle in Dessau begangen wurde. Die Tatsache, dass hier nicht ermittelt wurde zeigt, dass Rassismus sowohl Tatmotiv, aber auch maßgeblich für die Nichtaufklärung der Tat verantwortlich war und ist. Es handelt es sich um gewolltes staatliches „Versagen“ durch Vertuschen.
Oury Jalloh ist nur einer von 3 unaufgeklärten Todesfällen in dieser Polizeidienststelle: so wurde Hans-Jürgen Rose 1997 ca. 2 Stunden nach seiner Entlassung aus dem Dessauer Polizeirevier mit schwersten Verletzungen aufgefunden, denen er erlag. Trotz der eindeutigen Rekonstruktion des Tathergangs auf dem Revier und der Beschlagnahmung von Schlagstöcken und anderen Beweismitteln, wurde die Aufklärung und Verurteilung der Beamt*innen unterbunden. Der wohnungslose Mario Bichtemann, der wurde 2002 alkoholisiert aufgegriffen, deswegen in Gewahrsam genommen und dort 15 Stunden später mit einem Schädelbasisbruch auf dem Zellenboden tot aufgefunden. Auch hier gab es keine Konsequenzen für die Täter*innen in Uniform. Diese Aufklärungen werden verhindert durch einen Sicherheitsapparat, der lügt, schweigt und selbst zu den Tätern zählt, eine Gesellschaft, die nach Todesumständen von Migrant*innen nicht fragt, einer Politik die bewusst die Augen verschließt, um den Sicherheitsapparat zu schützen und einer Justiz, die nicht die entscheidenden Fragen stellt, sondern entscheidende Verfahren einstellt. Die Justiz in Sachsen-Anhalt hat die Ermittlungsakten im Fall Hans-Jürgen Rose gelöscht, was die Aufklärung eines möglichen Zusammenhangs zwischen den Mordfällen/ Todesfällen quasi unmöglich macht. Auch Unterlagen zum Disziplinarverfahren gegen zwei Polizisten im Zusammenhang mit dem Tod an Mario Bichteman sind nicht mehr vorhanden. Auch der Sexualmord an Li Yangjie 2016, bei dem Mutter und Stiefvater des Beschuldigten ermittelten, Beweise vernichteten und hinterher ihrer vorherigen Position auf dem Dessauer Polizeirevier nachgehen konnten, reiht sich in die traurige Kontinuität von Rassismus und Vertuschung in den Sicherheitsbehörden ein, die auch in diesem Mordfall konsequenzenlos blieb.
Die Polizeidienststelle in Dessau ist nicht das einzige Revier mit einer ganzen Reihe an aus rassistischen oder anderen menschenfeindlichen Motiven begangenen Straftaten, die bis heute unaufgeklärt bleiben. Am 8.08.2022 tötete die Polizei Dortmund den 16-jährigen Mouhamad Lamine Dramé. Mouhamad, der aus Senegal geflüchtet war, lebte in einer betreuten Wohneinrichtung. Er befand sich in einer psychischen Krise, und aus Sorge er könnte sich selbst verletzen, riefen seine Betreuer*innen die Polizei. Beim Eintreffen der Dortmunder Beamt*innen ging von Mouhamad keine Gefahr aus. Dennoch stürmte die Polizei den Hof der Einrichtung und griffen den 16-jährigen mit Pfefferspray an und schossen, als er sich aufrichtete mit Tasern und einer Maschinenpistole auf ihn. Kurz darauf starb er an den Verletzungen. Im Nachgang der Tat wurde Mouhamad von den Sicherheitsbehörden diffamiert. Es wurde behauptet er sei mit einem Messer auf die Beamt*innen losgegangen, eine Behauptung, die selbst vom Innenminister verbreitet, letztendlich aber widerlegt wurde. Das Ermittlungsverfahren wurde, aus Neutralitätsgründen von der Dortmunder Staatsanwaltschaft und der Polizei Recklinghausen übernommen, während gleichzeitig die Dortmunder Polizei einem Fall aus der Zuständigkeit der Recklinghäuser nachgeht. Am 07.09.2022 wurde ein Mann bei einem Einsatz mit Pfefferspray angegriffen und starb kurz darauf im Krankenhaus. Die Polizeibeam*innen ließen sich von Augenzeug*innen Videos und Fotos zeigen und löschten diese daraufhin.
Es ist klar, der Mord an Oury Jalloh war kein Einzelfall! Seit der Wende sind alleine durch Schusswaffen mindestens 318 Menschen in Polizeieinsätzen getötet worden. Der Großteil dieser Todesfälle ist bis heute nicht hinreichend aufgeklärt. Die Morde an Oury Jalloh und vielen weiteren haben ein gemeinsames Tatmotiv: Rassismus. Denn Rassismus führte zu den Morden, Rassismus führte zur mangelnden Aufklärungsmotivation, Rassismus führte zu mangelndem öffentlichen Interesse, Rassismus führte zu Vertuschungen auf vielen unterschiedlichen staatlichen Ebenen. Das zeigt uns, dass wir uns auf den Staat weder im Kampf gegen Rassismus, noch im Kampf gegen die extreme Rechte verlassen können, denn ohne antirassistische Gruppen und Initiativen, ohne den Kampfgeist der Angehörigen, hätten wir heute noch weniger Antworten zu den jeweiligen Tatumständen als ohnehin schon. Dass der Staat kein Interesse daran hat, diese Taten vollumfänglich aufzuklären zeigt sich immer wieder deutlich.
Der antirassistische und antifaschistische Kampf hingegen wird von staatlicher Seite massiv behindert und kriminalisiert. Es hat sich vor allem in den letzten Jahren mal wieder gezeigt, dass der Staat kein Interesse daran hat, den Getöteten im Ansatz Gerechtigkeit zukommen zu lassen. Deswegen liegt es an uns zu handeln.
Die Morde an Oury Jalloh und den vielen weiteren Opfern rassistischer Polizeigewalt haben System. Und eben deswegen dürfen wir uns keine Illusionen in Reformen des Polizeiapparats machen, sondern müssen an Perspektiven arbeiten, die dieses System überwinden. Klar, unabhängige Untersuchungsstellen zu fordern, ist ein erster wichtiger Schritt. Eine wirkliche Veränderung der Zustände kann aber nur in einer Überwindung des Kapitalismus liegen, weil Rassismus eben immer ein wichtiger Teil dieses Systems ist. In einem System, in dem Migrant:innen ausgegrenzt werden, wo sie die schlecht bezahlte Arbeit verrichten sollen und an den EU-Außengrenzen sterben müssen, dort ist es leider auch Teil des Geschäfts, dass der Polizeiapparat jene einstellt und schützt, die gerne mal selbst Hand anlegen.
Kämpfen wir zusammen: Gegen Polizeigewalt und Rassismus, gegen die alltägliche Ausbeutung, gegen das Verschweigen und Vergessen und kämpfen wir für ein Leben in Würde und ohne Angst.
Organisiert euch in offenen antifaschistischen Treffen, tragt die Forderungen nach Aufklärung und keinem Schlussstrich auf die Straßen. Wenn Nazis weiter morden und der Staat zuguckt müssen wir Antifaschist:innen die Notwendigkeit sehen aktiv zu werden. Wir müssen anerkennen dass Rassismus tief in der Gesellschaft verwurzelt ist und wir ihn auf jeder Ebene bekämpfen müssen. Denn dass Menschen durch Rassismus sterben ist nur die Spitze eines großes Eisberges der Menschen ihre Würde tagtäglich abspricht. Wir dürfen Rassismus keinen Zentimeter zulassen und nicht auf den nächsten Mord warten.