Wir von „Free All Antifascists‘‘ möchten gemeinsam mit euch auf das Verfahren gegen den Antifaschisten Adel aus Berlin zurückblicken.
Gastbeitrag der Kampagne „free all antifascist“
Im März 2021 versammelten sich in Berlin mehrere tausend Menschen unter dem Motto „Frieden – Freiheit – Souveränität“ zu einem „Marsch“ gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen. Darunter befanden sich viele Verschwörungsgläubige, Coronaleugner*innen und Neonazis. Im Rahmen der Demonstration kam es im Tiergarten zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen Antifaschist*innen und rechten Demonstrationsteilnehmer*innen. Dabei wurden mehrere Personen aus dem gewaltbereiten Neonazi- und Hooliganspektrum verletzt.
In der Folge wurden Adel und weitere Personen von der Berliner Polizei mit einem massiven Aufgebot festgenommen. Ohne zu wissen was ihm vorgeworfen wird, musste Adel stundenlang in einer engen Zelle im Gefangenentransporter ausharren. Auf Nachfragen gaben die Polizisten ihm gegenüber mehrfach als rassistisch empfundene Bemerkungen von sich. Als er wissen wollte, welcher Tag heute sei, entgegnete ein Beamter: „Heute ist der Tag an dem du in Untersuchungshaft kommst!“. Die Unschuldsvermutung schien für Adel von vornherein nicht zu gelten. Nach stundenlanger Ungewissheit wurden alle Festgenommenen in die Gefangenensammelstelle am Tempelhofer Damm gebracht. Dort angekommen musste Adel teilweise unbekleidet 18 Stunden ohne Decke und Kissen auf einer Holzpritsche verbringen. Auch das grelle Zellenlicht wurde über Nacht nicht ausgeschaltet. Wiederholt kam es auch hier zu menschenfeindlich und rassistisch empfundenen Äußerungen der Beamten.
Am darauffolgenden Tag wurde nur Adel, unter den Gefangenen der einzige migrantische Aktivist, der zuständigen Haftrichterin vorgeführt. Diese entschied, ihn sofort in die Justizvollzugsanstalt (JVA) Moabit zu überstellen. Als Begründung diente der Haftgrund ‘Fluchtgefahr‘‘. Absurd, denn zu diesem Zeitpunkt der Corona-Pandemie waren jegliche Reisemöglichkeiten weitestgehend eingeschränkt. Außerdem verfügte Adel über einen festen Wohnsitz und ein stabiles soziales Umfeld. Zudem hatte sich Adel bis dahin jedem Verfahren gestellt. Dass die Haftrichterin nicht ganz von allein auf diese abstruse Fluchtgefahrtheorie gekommen ist, war uns schnell klar. Szenekundige Beamt*innen vom Polizeilichen Staatsschutz bei der Abteilung 5 des Landeskriminalamts Berlin suchten noch am Tag der Verhaftung die Wohnanschrift der Mutter auf. Sie probierten mit Adels Wohnungsschlüssel in die Wohnung zu gelangen, die Mutter bemerkte dies jedoch. Es folgten manipulative Fragestellungen, die darauf abzielten, Adel etwas anzulasten. Eine bekannte Taktik, um Aktivist*innen und ihren Angehörigen einzuschüchtern.
Am 6. April 2021 wurde Adel nach zweiwöchiger Untersuchungshaft gegen eine Kaution in Höhe von 5.000 Euro und einer dreimaligen Meldepflicht pro Woche bei der Polizei aus der JVA Moabit entlassen.
Anklage und Sicherheitsverfügung
Wenige Monate später kam es zur Anklage und damit stand auch der Vorwurf endgültig fest: gefährliche Körperverletzung und besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs. Am 19. November 2021 sollte der Prozess vor dem Amtsgericht Tiergarten beginnen. Im Vorfeld erließ das zuständige Gericht eine zweifelhafte Sicherheitsverfügung, nach der Adel vor jedem Verhandlungstag nach Waffen und gefährlichen Gegenständen durchsucht werden musste. „Erschwerend“ zu seiner antifaschistischen Gesinnung kam sein sogenannter „Migrationshintergrund“ hinzu, der für die Ermittlungsbehörden vermutlich für eine gesteigerte Gewaltbereitschaft sprach.
Die Anklageschrift las sich wie ein billiger Actionstreifen. Die Anklage ging davon aus, dass Adel „eine Gruppe von ca. 70 Personen angeführt haben soll, woraufhin sich daraus eine Untergruppe von 25 Personen losgelöst hat und auf Personen, die als ehemalige Teilnehmer der Versammlung erkannt wurden, im Bereich des Tiergartens losging“. Adel soll einem der Geschädigten „(…) mehrmals mit den Fäusten ins Gesicht geschlagen und anschließend eine Glasflasche aus ca. einem Meter kraftvoll ins Gesicht geworfen haben (…)“.
Rechte Geschädigte und Anwälte
Durch Recherchen, zu denen Staatsanwaltschaft und Polizei scheinbar nicht in der Lage waren, konnten wir herausfinden, dass es sich bei den Geschädigten nicht nur um „ehemalige Teilnehmer einer Versammlung“ handelte, sondern um gewaltbereite Neonazis wie den bekannten Neonazi Paul H. aus Gießen. Dieser sagte lediglich aus, er sei gelernter Brauer und Mälzer und arbeite zurzeit in der Automobilindustrie. Was er nicht erzählte: In der jüngeren Vergangenheit trat Paul H. regelmäßig mit der hessischen NPD und ihrer Jugendorganisation JN in Erscheinung. Im Oktober 2016 war Paul H. in Wetzlar als Ordner bei einem Neonaziaufmarsch aufgetreten und 2017 hatte er am RechtsRock-Open-Air in Themar teilgenommen.
Im Verfahren gegen Adel ließ sich Paul H. als Nebenkläger von der Szene-Anwältin Nicole Schneiders vertreten. Ihre Verstrickungen in die Neonazi-Szene in Deutschland sind mehr als bekannt. So vertrat sie unter anderem im NSU-Prozess den Neonazi Ralf Wohlleben vor dem OLG München. Weil sie einen sehr langen Anfahrtsweg hatte, wurde Schneiders an den letzten beiden Verhandlungstagen von dem Berliner Wolfram Nahrath vertreten, ebenfalls ein bekannter Neonazi-Anwalt mit einschlägiger Vergangenheit.
Rassistische Aussagen beim Prozess
Am Tattag trug Paul H. ein „Ansgar Aryan“-Shirt, eine Sweatjacke der „Combat 18“-nahen Band „Erschiessungskommando“ und darüber eine Jacke der rechten Szene-Marke „Thor Steinar“. Die Vorgeschichte vom Tattag hätte er vor Gericht gern verschwiegen: Nur wenige Stunden vor der Demonstration waren Paul H. und seine „Kameraden“ von einer Einsatzhundertschaft festgesetzt worden. Bei ihnen wurden Utensilien wie Pfefferspray, Mundschutz und Taschenmesser gefunden, die bei einer körperlichen Auseinandersetzung geeignet gewesen wären, Menschen zu verletzen. Erst auf Nachfrage der Verteidigung musste Paul H. den Vorfall einräumen.
Viel lieber fokussierte sich H. auf den Antifaschisten Adel: „Der Türke war‘s, er war unvermummt!“. Er könne ihn sehr genau wiedererkennen, da er laut seiner Wahrnehmung „der einzige Nichtdeutsche“ am Tatort war. Anders als an den vermeintlichen Täter konnte sich Paul H. jedoch nicht mehr so genau daran erinnern, womit er geschlagen worden war. Mal war ein Stock dabei, mal sollen es nur die Fäuste gewesen sein. Am Ende soll es die Flasche gewesen sein, die ihren Weg in sein Gesicht fand. Insgesamt enthielten seine Aussagen etliche Widersprüche, was letztlich auch dem Gericht auffiel.
Daneben stützte sich die Anklage auf die Aussagen von mehreren Zivilbeamt*innen, die Adel mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit als Haupttäter ausgemacht haben wollen. Da die „Zivis“ an jenem Tag in „szenetypischer“ Kleidung, mutmaßlich sogar vermummt, unterwegs waren und ihre Aussagen ebenfalls suspekt und abgesprochen wirkten, beantragte die Rechtsanwältin von Adel die Rechtmäßigkeit ihrer Aussagen überprüfen zu lassen.
Die damalige Richterin schien überfordert, sie vertagte die Verhandlung auf Februar 2022, ein neuer Richter kam, aber ging sofort in Elternzeit. Es vergingen mehrere Monate bis es zu einem weiteren Hauptverhandlungstermin kam. Erst am dritten und letzten Prozesstag wurden die letzten Zeugen der Polizei gehört. Der Antrag der Verteidigung war zuvor abgelehnt worden. Konkrete Beweise gegen Adel gab es immer noch nicht. Stattdessen wollte einer der Zivilbeamten den „Phänotyp Südländer“ erkannt haben – von hinten und trotz Vermummung des Täters. Was Prozessbeobachter*innen auffiel war, dass sich sowohl die Geschädigten als auch die Polizei vorher auf dieselbe Strategie festgelegt zu haben schienen. Immer mehr bröckelte vor Gericht die Fassade des „Lügenkonstrukts“ der Berliner Polizei, die scheinbar fest mit einer Verurteilung zu einer mehrjährigen Haftstrafe gerechnet hatte.
Am Ende musste Adel nach Ansicht des Gerichts aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden. Dass er bei einer anderen Beweislage verurteilt worden wäre, ist ebenfalls Gegenstand unserer Kritik. Wir bedanken uns bei allen Unterstützer*innen, die uns in den letzten anderthalb Jahren mit voller Kraft supportet haben. Wir freuen uns sehr unseren Genossen Adel wieder fest an unserer Seite zu haben und kämpfen weiterhin unter dem Namen „Free all Antifascists“ für alle von staatlicher Repression betroffenen Antifaschist*innen!