Die „Krawallnacht“ in Stuttgart war eine Reaktion auf die andauernden Schikanen und rassistischen Kontrollen durch die Polizei in der Innenstadt an sogenannten Hotspots, an denen sich zumeist junge Menschen alternativ zu überteuerten Feierlocations aufhalten. Bei einer rassistischen Personenkontrolle wegen eines vermeintlichen Drogendelikts am Eckensee solidarisierten sich spontan viele Umstehende und leisteten gemeinsam dagegen Widerstand. Immer mehr Menschen schlossen sich dem Protest an und drängte die Polizei zurück. Zeitweise hatte die Polizei, die von der Gegenwehr völlig überrascht war, auch mit immenser Verstärkung keine Kontrolle über die Situation.
Umso repressiver war die Antwort der Politik und Justiz im Nachgang.
Und abermals wurde klar: Wir haben ein Rassismus-Problem. Statt etwa um rassistische Polizeikontrollen oder gar den tiefergehenden Grund für den Unmut, der sich in dieser Nacht entlud, drehte sich der öffentliche Diskurs um möglichst harte Strafen für die Beschuldigten zur Abschreckung und über „Stammbaumforschung“ bei vermeintlich Beteiligten. Die Stuttgarter Polizei fragte die Nationalitäten der Eltern von Tatverdächtigen ab und Innenminister Strobl nutzte die Gelegenheit, seine Law and Order-Politik weiter voranzutreiben; die Stuttgarter Innenstadt war danach nachts monatelang von hoch militarisierten Cops besetzt, mehr rassistische Polizeikontrollen inklusive und die Video-Überwachung der Innenstadt ist seitdem ohne jeglichen Widerstand Normalität. [Antifa-Info-Redaktion]
Die Auseinandersetzung rund um die „Krawallnacht“ hat einen durchgehend politischen Charakter. Die Riots im ersten Coronasommer 2020 – nicht nur in Stuttgart, auch in Frankfurt, München oder Augsburg – waren ein Ausdruck der Wut auf die herrschende soziale Ungerechtigkeit. Auslöser in Stuttgart war eine rassistische Kontrolle der Polizei, die das Fass zum Überlaufen brachte.
Dahinter liegt aber mehr: 2020 hat sich die Auseinandersetzung für maginalisierte junge Menschen um den öffentliche Raum zugespitzt, da wegen des Lockdowns kaum noch andere Möglichkeiten sozialer Beteiligung existierten. Viele kostenlose oder leistbare Angebote waren geschlossen, die überteuerten Läden waren offen, die sich aber eben viele nicht leisten können.
Die Präsenz migrantischer, prekarisierter Jugendlicher im öffentlichen Raum, wie am Eckensee oder anderen Teilen der Innenstadt ist von den Behörden nicht gewollt, da es dem sauberen und sicheren Stadtbild schadete.
Ein Aufenthalt ohne Kontrollen, Bußgelder und Schikane war in der Coronazeit nicht möglich. Insbesondere migrantisch gelesene Personen bekamen dies durch rassistische Kontrollen zu spüren.
Die Corona Krise befeuerte die sozialen Widersprüche. Wer reich ist die Krise in weiträumigen Wohnungen und Gärten verbringen, alle anderen durften nicht einmal am Eckensee Zeit verbringen.
Aus diesem gemeinsamen Erleben, Kontrolle, Schikane und Erniedrigung entstand spontan Solidarität und gemeinsames Handeln. Die „Krawallnacht“ in der hunderte Menschen über mehrere Stunden die Polizei zurückdrängten und durch die eigentlich kontrollierte Innenstadt zogen, brach die Ohnmacht der Jugendlichen.
Die Jugendlichen die ein Teil der Arbeiter:innenklasse sind, haben – wenn auch nur kurz- die Möglichkeit des gemeinsamen Handelns für sich entdeckt. Auch wenn es kein bewussterantikapitalistischer Akt war- war es ein Aufbegehren gegen das System.
Dieses Potential wurde von den Repressionsbehörden unterschätzt. Die Reaktion fiel umso härter aus: mit Öffentlichkeitsarbeit, unzähligen Festnahmen und demütigenden Vorführungen vor Gericht wurden an Einzelnen ein Exempel statuiert. In den Medien wurde das Ganze als unpolitischer Krawall delegitimiert, zur Denunziation aufgerufen und gehetzt.
Ein besonderer Fokus der Strafverfolgung lag von Anfang an auf den Menschen die organisiert in das Geschehen eingegriffen haben sollen bzw. zumindest theoretisch hierzu in der Lage wären: Die revolutionäre Linke.
Deshalb führten die Cops im März 2022 Hausdurchsuchungen in Stuttgart durch. Es folgten drei Gerichtsverfahren die mit dünnen Indizien geführt wurden. Erwartungsgemäß für das Stuttgarter Amtsgericht kein Hindernis für eine Verurteilung zu mehrjährigen Knaststrafen von drei Genoss:innen: erstinstanzlich zu 36 und 45 und einmal 20 Monate auf Bewährung.
Der Berufungstermin von einem Genosse hätte bereits im Februar diesen Jahres stattfinden sollen. Er hat sich entschieden nicht in den Knast zu gehen und sich selbstbestimmt seiner Haftstrafe zu widersetzen. In einem Statement bezieht er dazu Stellung (LINK). Die Prozesse rund um die Krawallnacht, stellen an sich bereits eine Ausweitung des Drucks gegen linke und revolutionäre Organisierung dar. Hinzu kommt eine Vielzahl weiterer Repressionsmomente in den vergangenen Monaten.
Der Zusammenhang zwischen den Kämpfen und der staatlichen Repression ist nur logisch und ist daher kein Grund aufzugeben. Die Auseinandersetzungen werden nicht weniger. Soziale Widersprüche werden nur noch stärker aufbrechen und der Staat wird mit Repression darauf antworten.
Genau diese sozialen Widersprüche sind es, mit und in denen eine revolutionäre Linke agieren und den revolutionären Aufbauprozess vorantreiben muss, weil dies die Krise des Systems vertiefen und zu einer Veränderung führen kann.
Dass jedes Aufbegehren gegen die Herrschenden, eine Antwort des Staates heraufbeschwört, ist wenig überraschend..
Die andere Seite dieser Medaille ist das Potential dieser Kämpfe. Nutzen wir dieses und halten daran fest, in unseren Kämpfen. Nur wenn uns das gelingt, kann die Perspektive einer vom Kapitalismus befreiten Gesellschaft erreicht werden.
Kommt zu den Berufungsverhandlungen: Dienstag, 12.09 und 19.09, Mittwoch 27.09 und Donnerstag 28.09 – jeweils vor dem Landgericht Stuttgart
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