Gründung des „Budapest Antifascist Solidarity Committee“

Das Solidaritätsbündnis Budapest Antifascist Solidarity Committee – BASC – hat sich gegründet, um den Betroffenen beizustehen, die im Kontext der Vorfälle in Budapest der Repression ungarischer und deutscher Behörden ausgesetzt sind. Wir möchten die Deutungshoheit über das Geschehene nicht länger staatlichen Institutionen sowie rechten und bürgerlichen Medien, vor allem in Ungarn und Deutschland, überlassen. Uns geht es darum, einer linken Perspektive auf die Vorkommnisse den notwendigen Raum zu geben. Hierbei möchten wir uns, nebst inhaltlicher Analyse und Debattenbeiträgen, auch mit praktischer Unterstützung im Rahmen des kommenden Verfahrens einbringen.

Mittlerweile ist einige Zeit seit dem Wochenende um den sogenannten „Tag der Ehre“ in Budapest vergangen, an dem es zu verschiedenen Auseinandersetzungen gekommen ist. Seit über zwanzig Jahren nutzen Nazis aus ganz Europa diesen Tag, um Wehrmacht und SS zu gedenken. Gedacht werden soll einer entscheidenden Niederlage von knapp 30.000 NS-Soldaten gegen die Rote Armee in der ungarischen Hauptstadt. Dieses Februarwochenende ist eines der wichtigsten internationalen Vernetzungstreffen für FaschistInnen und Nazis, die sich im protofaschistischen Ungarn in Sicherheit wiegen können. Im Februar wurde dieses Sicherheitsgefühl durch engagierte AntifaschistInnen  für einen Moment gebrochen. Im Zeitraum vom 09. bis 11. Februar 2023 kam es zu mehreren Auseinandersetzungen mit zum Teil gut organisierte und vernetzte Nazis am Rande des Veranstaltungsgeschehens. Dabei wurde durch antifaschistische Interventionen deutlich gemacht, dass FaschistInnen auch in Budapest ihre geschichtsrevisionistische Propaganda nicht ungestört auf die Straße tragen können. Sie wurden, in einer sonst rechten Hegemonie, mit dem Gefühl der Ohnmacht – welches sie sonst unter ihren Feinden vebreiten – in direkter Weise konfrontiert. Der darauffolgende Aufschrei war gewaltig. Doch nicht, weil im Rahmen der Veranstaltung tausende Nazis und FaschistInnen offen mit Hitlergruß, Stahlhelm und Hakenkreuz auftraten. Der Aufschrei galt einzig und allein den GenossInnen, die sich ihnen entgegengestellt haben sollen. Zwei von ihnen sitzen deshalb seit Mitte Februar in ungarischer Haft und ertragen jeden Tag auf’s Neue die dortigen Haftbedingen. Unsere Gedanken sind bei Tobi und der italienischen Genossin. Ebenfalls sprechen wir unsere Solidarität der bereits aus der U-Haft entlassenen Genossin aus, sowie den AntifaschistInnen, nach denen seitens deutscher und ungarischer Behörden in dem Kontext nun international gefahndet wird.

Wir wissen, dass wir für uns oder die Betroffenen keine Milde von diesen Behörden erwarten können. Die letzten Jahre haben deutlich gezeigt, wie gegen antifaschistische Strukturen vorgegangen wird. Die Repression hat sich zum Alltag für viele Menschen der antifaschistischen Bewegung entwickelt. Denn die Einschüchterung seitens staatlicher Akteure beginnt nicht erst dann, wenn mal ein Stein durch die Luft fliegt oder militant gegen Nazis vorgegangen wird. Bereits wer an einer Sitzblockade teilnimmt oder Teil eines antifaschistischen Jugendplenums ist, kann in den Fokus staatlichen Handelns geraten. Auch legale linke Politikformen rücken zunehmend ins Visier der Behörden. Die Diskursverschiebung ist real. Doch kommt sie nicht, wie immer wieder vorgetragen, von links, sondern von staatlicher Seite, getragen von einer Gesellschaft die weiter und weiter nach rechts rückt. Immer vehementer wird gegen antifaschistische Zusammenhänge vorgegangen und verschiedenste Strukturen sehen sich immer umfassenderer Repression ausgesetzt. Hausdurchsuchungen sind nicht erst seit den Vorfällen in Budapest an der Tagesordnung.

Mit Gründung der SokoLinx stellten die sächsischen Behörden ein für alle Mal klar, wo sie den Feind sehen. Während eine Gruppe von über 250 Nazis ein Wohnviertel angreifen kann und außer einem Klapps auf die Finger nicht viel zu befürchten hat, beschwört Dirk Münsters Soko das heimliche Anwachsen einer Gefahr von Links. Das Antifa Ost-Verfahren zeigt, wie der Rechtsstaat sich selbst aushebelt, wenn er unbedingt Ermittlungserfolge erzielen will. Kein Aufwand wird gescheut, um am Ende gemeinsam mit der Bundesanwaltschaft mit glänzenden Augen die drei Ziffern zu sehen. 1.2.9. Bestraft wird hier nicht nur explizit eine Tat, sondern auch die politische Haltung. Wir senden an dieser Stelle Grüße an die Vier aus dem Antifa Ost-Prozess. Auch Euch gilt unsere ungebrochene Solidarität.

Nicht nur die Betroffenen des Antifa Ost-Verfahrens oder des Verfahrens zu den Auseinandersetzungen in Budapest tragen die Folgen der Repression, sondern alle, die mit ihnen zu tun haben wie Familie oder FreundInnen. Es reicht Mitbewohnerin zu sein oder im gleichen Haus zu wohnen. Türen werden aufgeschossen, Personen abgehört und observiert – alles für den Ermittlungserfolg. Und wo es keine Strukturen zu ermitteln gibt, wird traditionell mit Willkür vorgegangen. Das jüngste Beispiel: Tag X, als hunderte Menschen stundenlang unter unwürdigen Bedingungen von Polizeieinheiten aus der gesamten Bundesrepublik gekesselt wurden. Ihnen Nahrung, Toilettengänge und Minderjährigen der elterliche Beistand verwehrt wurde. Der Schulterschluss von Oberbürgermeister, Polizeidirektion und Presse (wenige Ausnahmen bestätigen die Regel) bildete auch hier den Schlusspunkt. Unsere Solidarität gilt auch euch und denen, die euch beistehen.

Während die Springerpresse, sowie rechte Medien und Social Media Accounts schon seit längerem dabei sind, sich mit Unwahrheiten, Spekulationen und Lügen zu übertrumpfen, ist mittlerweile fast die gesamte bürgerliche Presse auf diesen Zug aufgesprungen und verbreitet das von Ermittlungsbehörden gesetzte Narrativ einer neuen Generation linker TerroristInnen und neuer RAF ohne Gegenrecherche oder gar Gegenrede. Aus anderen Kontexten bereits bekannte Ermittler sinnieren über Untergrundaktivitäten und greifen nach jedem sich anbietendem Strohhalm, um ihre Erzählung einer linken Bedrohung aufrecht zu erhalten und ihre Ermittlungskompetenzen auszuweiten. Gedruckt wird das gern, hinterfragt jedoch nicht. So wird dann schnell mal ein Meme im Netz zur Morddrohung fantasiert und damit die politische Realität in Sachsen, Deutschland und nicht zuletzt Ungarn gänzlich außen vor gelassen. Für Klicks ist keine hetzerische Schlagzeile zu weit hergeholt und für exklusive Fotos und Informationen wird der Wecker auch gern mal extra früh gestellt. GenossInnen werden unverpixelt und mit vollem Namen in Boulevardmedien abgebildet. Die Richtigkeit dessen wird weder bei Form noch Inhalt hinterfragt, die Folgen für die Betroffenen und deren Umfelder als Kollateralschäden in Kauf genommen. Linke Medien halten sich mit Kritik daran bisher zumeist vornehm zurück – was vielleicht auch am Umstand liegen mag, dass vieles im Unklaren ist und so manche Fragen offen sind.

Vieles gilt es zu (er)klären und auszudiskutieren. Es geht nicht zuletzt um die Handlungsfähigkeit einer radikalen Linken, die manche Debatte in den letzten Jahren hat einschlafen lassen. Es wird Zeit, sich längst überfälligen innerlinken Auseinandersetzungen wieder zu stellen. Doch dürfen wir uns davon in praktischer Hinsicht nicht lähmen lassen und vor allem die Beschuldigten nicht allein ihrem Schicksal und der Deutungshoheit anderer überlassen. Ein langer und kräftezehrender Prozess steht vor uns, dessen Ausmaß sich noch nicht annähernd überblicken lässt. Diesen Weg möchten wir gemeinsam mit den von Repression Betroffenen und ihren Familien und FreundInnen gehen, ihnen unsere Solidarität aussprechen und unsere Unterstützung anbieten. Nur gemeinsam können wir der Einheit von Repressionsbehörden, Presse und FaschistInnen etwas entgegensetzen, um eine rechte Hegemonie, wie sie in Ungarn bereits existiert, hier nicht auch zur Realität werden zu lassen.

Antifaschistische Praxis ist vielfältig und notwendig – ob in Berlin, Leipzig, Jena, Mailand oder Budapest:

„Wer gegen die Nazis kämpft, der kann sich auf den Staat überhaupt nicht verlassen.“ – Esther Bejarano