Ein politischer Mensch
Benni Ruß ist ver.di-Mitglied und hat einen Master in Urbanistik. Allerdings verweigert ihm die TU München eine Beschäftigung als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Der Grund: Er strebe einen Systemwechsel an. Seine Verteidigerin, die Ex-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin, hält dagegen
Monika Goetsch (ver.di publik)
Benni Ruß hat in seinem Leben eine ganze Menge für seine Überzeugungen getan: Schon als Schüler in Tokyo, wo er einige Jahre lebt, organisiert er eine Friedensaktion gegen den Irakkrieg 2003. Während seines Geographiestudiums an der Technischen Universität München (TUM) engagiert er sich gegen die Erhöhung der Studiengebühren, beim Protest gegen den G7-Gipfel in Elmau betritt er 2014 als Sprecher die öffentliche Bühne.
Er nimmt an antifaschistischen Protesten gegen Pegida teil, diskutiert mit kurdischen Jugendlichen, protestiert gegen die Reform des Polizeiaufgabengesetzes der Bayerischen Staatsregierung, das der Polizei zur Gefahrenabwehr mehr Rechte einräumt. Als er bei einem Protest vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt eine bedruckte Overheadfolie über die Augen zieht, um sich vor Pfefferspray zu schützen, fängt er sich eine Anzeige ein und klagt sich anschließend durch die Instanzen. Inzwischen, erzählt er, liegt seine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Zäher und waghalsiger
Der Kampf, den er ausficht, ist mühsam. Mal, erzählt er, wurde er von einem Polizisten zu Boden gerissen, mal hat man seine Wohnung durchsucht und Computer beschlagnahmt. „Ich habe genug Erfahrungen mit Repression gemacht, aber man verändert nichts, wenn man sich Repression beugt“, sagt er.
Ist man von der Richtigkeit der Sache überzeugt und hat die nötigen Voraussetzungen dafür, ist es wichtig, sich nicht unterkriegen zu lassen.
Zwar ist er mit Sicherheit zäher und waghalsiger als andere Menschen.
Eine gewisse Anspannung ist aber immer dabei. Ich agiere ja gegen Kräfte, die tendenziell stärker sind als ich selbst.
Klar ist: Benni Ruß, Master in Urbanistik, ist ein durch und durch politischer Mensch. Natürlich ist er links. Aber verstößt er darum gegen die Verfassung? Und wenn das der Fall sein sollte: Wäre das wirklich Grund genug, ihm die bescheidene Stelle eines wissenschaftlichen Mitarbeiters im Bereich Geografie vorzuenthalten?
Genau das nämlich hat die TU München getan. Benni erhob dagegen Klage, am 9. Februar ist Prozessauftakt vorm Münchner Arbeitsgericht. Für Benni wird es dabei auch generell darum gehen, im öffentlichen Dienst in Bayern arbeiten zu dürfen.
Ich kämpfe zwar für größere, gesellschaftliche Verbesserungen, aber trotz allem auch immer für mich.
Die TU äußert sich auf Anfrage nicht zu dem Fall, der entsprechende Schriftverkehr, in dem sich die Hochschule auf Recherchen des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz beruft, liegt der Redaktion vor. Vorgeworfen werden dem Bewerber Benni unter anderem seine Mitgliedschaften im Studierendenverband der Linkspartei (von 2012 bis 2014) und in der Rechtshilfeorganisation „Rote Hilfe“ (aktuell). Es geht um Artikel, die er auf der Plattform klassegegenklasse.org geschrieben hat, um seinen Aufruf zu zivilem Ungehorsam beim G7-Gipfel und um einen vermeintlichen Angriff auf einen Polizisten im Zuge einer Demonstration.
Die TU München fordert in einem ersten Brief eine Stellungnahme von Benni ein, die allerdings, wie es in einem späteren Schreiben heißt, die Zweifel an seiner Verfassungstreue nicht ausräumt, sondern verstärkt. Aus seinen Aussagen lasse sich ableiten, dass er einen Systemwechsel anstrebe und auf eine sozialistische oder kommunistische Gesellschaftsordnung abziele, so die Hochschule.
Däubler-Gmelin: Vorwürfe entkräftet
Benni wiederum wirft der Universität vor, sich Positionen des Verfassungsschutzes zu eigen zu machen und
Aussagen aus dem Kontext zu reißen, um mich als gewalttätigen Umstürzler darzustellen. Der Versuch, mich zu diffamieren, ist hanebüchen.
Er vermutet:
Dadurch, dass ich mich in den letzten 14 Jahren häufig widersetzt habe, reagieren die Institutionen und Behörden sehr empfindlich auf mich, die Reaktion der TUM ist ein Beispiel dafür.
Für Herta Däubler-Gmelin ist der Fall klar: Begründete Zweifel an Bennis Verfassungstreue bestünden nicht, die TUM sei verpflichtet, ihn einzustellen.
Die Vorwürfe lassen sich nicht bestätigen und sind zu großen Teilen entkräftet
, so Däubler-Gmelin.
Die Behauptung, Benni Ruß habe aktiv an irgendwelchen Aktionen gegen Polizeibeamte teilgenommen, ist einfach falsch.
Dass Däubler-Gmelin die Verteidigung von Benni übernimmt, kommt nicht von ungefähr: Die ehemalige Bundesjustizministerin ist seit über sechzig Jahren ver.di-Mitglied und befasst sich schon seit einem halben Jahrhundert mit dem Thema Berufsverbot. Für sie bestätigt der Fall Ruß einen alten „Linksdrall“:
Seit den Siebzigerjahren ist es Tradition, nach rechts die Augen zu verschließen und nach links so zu tun, als sei da eine große Gefahr
, sagt sie.
Dass man Berufsverbote auf jemanden im Wissenschaftsbereich anwendet, muss sehr empören. Die Tatsache, dass es solche Einzelfälle gibt, frustriert einen. Sowas geht nicht in einem Rechtsstaat!
Ähnlich sieht das die Betriebsgruppe der TUM, die den Fall in ihrer Zeitung öffentlich gemacht hat:
Es geht um Meinungsfreiheit und Diskussion. Gerade in einer wissenschaftlichen Einrichtung muss man über den Kapitalismus diskutieren und darüber, welche Probleme er hervorbringt
, so Renate Bayer.
Claudia Weber von ver.di München sagt:
Ein Berufsverbot stellt eine massive Einschränkung der Berufsausübung dar.
Darum gewährt ver.di Mitgliedern wie Benni kostenlosen Rechtschutz in Angelegenheiten, die das Arbeitsleben betreffen.
Gleichzeitig sehen wir uns als politische Organisation, die sich für die Demokratie und die Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse stark macht. Dazu gehört auch, dass wir uns aktiv für die Freiheit der wissenschaftlichen Meinungsäußerung einsetzen.
Das Engagement von ver.di beschränkt sich darum nicht nur auf Rechtshilfe. Um Benni zu unterstützen, hat die Gewerkschaft im November außerdem eine Diskussionsveranstaltung organisiert, Titel:
Wie frei ist Bayerns Wissenschaft?
Exil in Luxemburg
Statt an der Uni zu forschen und zu lehren, ist Benni inzwischen als Geoinformatiker in einem Museum in Luxemburg angestellt, wo er archäologische Funde digitalisiert. Er mag Deutschland vorläufig den Rücken gekehrt haben, seine politische Haltung allerdings ist unverändert.
Ich denke, dass unsere Gesellschaft zutiefst ungerecht ist
, sagt er. Geprägt hat ihn da auch die eigene Geschichte. Wie es ist, in prekären Verhältnissen zu leben, weiß der gebürtige Oberpfälzer seit seiner Kindheit. Die Familie seines Vaters stammt aus Schlesien, die seiner Mutter hat ungarische und italienische Wurzeln.
Ich habe als Kind Armut kennengelernt und erlebt, was Hunger bedeutet.
Im Rückblick zweifelt allerdings auch er manchmal daran, ob man mit Offenheit und Ehrlichkeit wirklich weit kommt.
Früher dachte ich: Ich lebe in einer demokratischen Gesellschaft, in der man seine Meinung offen, mit bürgerlichem Namen, vertreten kann. Das war ein bisschen naiv.
Heute weiß er:
Man gibt sich dadurch auch Angriffen preis.
Und doch:
Ich fühle mich sehr wohl damit, aufrecht durchs Leben zu gehen und kann mir nicht vorwerfen, mich wegzuducken. Jeder Schritt in die richtige Richtung ist ein Erfolg.
Kein Berufsverbot für Luca!
gegenmacht.info
Luca ist Opfer von staatlichen Repressionen geworden, die nun seine berufliche Existenz gefährden. Er ist 27, arbeitet schon seit längerem in Frankfurt an einer Schule als Haupt- und Realschullehrer, seine Arbeit bringt ihm Spaß, die Kinder und das Kollegium schätzen ihn sehr. Er ist zudem seit vielen Jahren politisch aktiv, u.a. in der Gewerkschaft GEW. Er kämpfte in der Vergangenheit vor allem für ein besseres Bildungssystem, mehr Lehrkräfte an den Schulen und für eine bessere Bezahlung.
Nun steht ein neuer Lebensabschnitt an: Das Referendariat. Doch das kann er jetzt nicht antreten, denn er wurde abgelehnt. Die Begründung dahinter ist: Er sei in ein politisches Strafverfahren verwickelt und wäre von daher nicht geeignet Lehrer zu sein.
Eine friedliche Abenddemo findet statt, gemeinsam mit Gewerkschaftern und anderen politisch Aktiven lief auch Luca mit. An dem Tag gab es jedoch ein massives Polizeiaufgebot. Die Demo wird durch die Polizei eskaliert und es wird unübersichtlich, einige DemonstrantInnen werden schwer verletzt. In dieser Situation verliert Luca seine Gruppe und steht alleine mitten in den Auseinandersetzungen. Neben ihm liegt eine verletzte Person am Boden und blutet am Kopf.
Ein Rauchtopf liegt nahe dem Verletzten, woraufhin Luca ihn aufhebt und in gebeugter Haltung zur Seite wirft, um in dem Chaos die verletze Person sowie Rettungsarbeiten zu erleichtern. Auf einem Video sieht man das ganze sogar, allerdings erkennt man nicht wo der Rauchtopf landet.
Daraus wird ihm nun der Vorwurf der schweren Körperverletzung, sowie Landfriedensbruch gemacht. Die Polizisten werfen ihm vor sie dadurch verletzt zu haben, was weder stimmt noch belegbar ist. Im Nachgang musste er sich dazu noch von Polizisten schikanieren lassen. Unter anderem erhielt er einen Anruf des hessischen Verfassungsschutzes, der ihn unter Druck zu setzen versuchte.
Und das alles nur, weil Luca politisch aktiv ist und an einer Demo teilgenommen hat!
Vor Gericht wurde Luca jetzt zu einer hohen Gelstrafe verurteilt. Doch das Schlimmste: durch das Urteil ist er nun vorbestraft und darf sein Referendariat nicht mehr antreten. Das kommt einem de facto Berufsverbot gleich!
Der Staatsanwalt ging direkt in Revision um die Strafe sogar noch höher ausfallen zu lassen. […]
Wir fordern: Freispruch für Luca! Nur so hat er eine Zukunft in seinem Beruf!
Wir lassen uns durch diesen Staat und seine Institutionen nicht einschüchtern. Es handelt sich hierbei um einen politisch motivierten Angriff und dagegen muss man sich klar aussprechen und aktiv werden.
Berufsverbote haben eine lange Tradition in Deutschland, vor 50 Jahren wurden massenhaft politisch aktive Lehrkräfte entlassen, nur weil sie sich für eine bessere Welt und eine Alternative vom Status Quo eingesetzt haben. Dem konnte man sich auch damals nur gemeinsam widersetzen. Für uns ist klar: Luca ist keine Gefahr, er muss sein Referendariat antreten dürfen!
Gemeinsam mit Gewerkschaften, Parteien, Jugendverbänden, anderen Organisationen, sowie dem Kollegium wollen auch wir ein Zeichen setzen! Daher veröffentlichen wir den Fall und möchten jeden dazu Aufrufen es uns gleich zu tun. Nur mit einer breiten Öffentlichkeit kann es uns gelingen, dass Luca freigesprochen wird und sein Referendariat wie geplant beginnen kann.
Landgericht verschärft Berufsverbot gegen Luca
SDAJ
Am vergangenen Mittwoch (31.01.2024) stand der angehende Lehrer und GEW-Aktive Luca vor dem Frankfurter Landgericht, um im Berufungsverfahren gegen seine Verurteilung juristisch anzukämpfen. Dem erst kürzlich zum Personalrat seiner Schule gewählten Kollegen wird vorgeworfen, auf der 1. Mai Demo Vollstreckungsbeamte (PolizistInnen) mit einem Rauchtopf angegriffen zu haben – was weder wahr noch belegbar ist. Luca hat nur einer verletzten Person geholfen und niemanden selbst verletzt.
Damit werden Zivilcourage und politisches Engagement verurteilt. Wer auf eine Demo geht, soll sich nicht mehr sicher fühlen und mit Strafen rechnen.
Die Polizeizeugen widersprachen einander. Auf dem Beweisvideo ist der Landeort des kniehoch geworfenen Rauchtopfes nicht zu erkennen – wie die Polizei selbst vor Gericht zugeben musste. Und eins wurde vor Gericht schnell klar: Der Prozess gegen Luca wird politisch motiviert geführt!
In den von der Hessenschau veröffentlichten Videos sind dutzende wahllos in die Demo stürmende und prügelnde Polizisten zu sehen. Keiner von ihnen ist angeklagt oder verurteilt worden. Das Urteil gegen Luca ist ein politisch motiviertes, de facto Berufs- und Ausbildungsverbot. Denn mit der Strafe darf er das Referendariat nicht antreten und auch sein befristeter Vertrag wird nun auch nicht mehr verlängert werden. Es trifft Luca, aber gemeint sind wir alle: Demokraten, Linke, Sozialisten, Kommunisten und alle die auf die Straße gehen, sollen eingeschüchtert werden.
Solidarität mit Luca – der Kampf geht in die nächste Runde!
Luca steht nicht allein. Gegen das Berufsverbot hat sich eine breite Solidaritätsbewegung entwickelt. Knapp 5000 Menschen haben sich bereits mit ihrer Unterschrift für Luca stark gemacht. Die GEW Frankfurt und Hessen stellten sich hinter ihn und verurteilten das Vorgehen der Gerichte.
Das Kollegium seiner Schule beschloss einstimmig eine Erklärung gegen das Berufsverbot und wählte Luca in den Personalrat. Viele Schülerinnen und Schüler protestierten vor dem Gericht. Dank all ihnen ist es gelungen, eine breite Öffentlichkeit herzustellen. Das ist weiterhin wichtig, denn der Kampf geht jetzt in die nächste Runde. Luca wird weiter juristisch gegen das Berufsverbot vorgehen. Es braucht viele, die mit ihm gehen, denn gemeinsam sind wir stark. Und am Ende wird die Solidarität entscheidend sein, um zu gewinnen.