Verschlepptes Verfahren endet mit Freispruch

Freispruch im Verfahren gegen den Versammlungsleiter der 8. Mai Demonstration 2022 in Landau

Der Versammlungsleiter der Demonstration vom 8. Mai 2022 in Landau wurde am Mittwoch, den 10.07.2024, den ein oder anderen verschobenen Prozesstermin später (und auch zwei ausdrucksstarke 8. Mai-Demonstrationen in Landau später), freigesprochen. Der Vorwurf lautete, dass er das Zusammenhalten von Seitentransparenten nicht unterbunden hätte. Bereits der erste Prozesstag am 21.05.2024 fand unter einem unverhältnismäßig hohen Polizeiaufgebot statt und ging mit einer Leibesvisitation aller Zuschauer:innen des öffentlichen (!) Prozesses einher. Am zweiten Prozesstag wurde das Prozedere ein wenig abgewandelt: Zuschauer:innen wurden durch eine Sicherheitschleuse geführt, Taschen durchleuchtet und vereinzelt hielt man auch dieses Mal eine Leibesvisitation für angebracht. Wer genau dieses Prozedere à la Flughafen-Terminal angeordnet hat, bleibt offen, möchte man doch das „hohe Gut“ der Öffentlichkeit in einem Prozess wahren.

So weit, so gut. Nachdem alle ihre Sitzplätze eingenommen hatten, ging das wilde „Ich weiß nicht mehr so genau“-Karussell in die zweite Runde, denn bereits am ersten Prozesstag ließ die Erinnerung der geladenen Zeugen an den 8. Mai 2022 zu wünschen übrig. Daran hatte sich auch heute (oh Wunder) nichts geändert. Woran sie sich hätten erinnern sollen? Konkret daran, ob der Versammlungsleiter die Demonstrationsteilnehmenden darauf hingewiesen hatte, das Zusammenhalten von Seitentransparenten zu unterlassen oder nicht. Zwei Prozesstermine, die doppelte Anhörung von zwei Polizisten, eines Vorsitzenden des Ordnungsamts und letztlich auch noch eines Einsatzleiters später wurde von der Richterin das Angebot einer Verfahrenseinstellung wegen geringer Schuld präsentiert. Dieses Angebot wurde seitens des Angeklagten und seines Anwalts richtigerweise ausgeschlagen.

Ganz gleich wie hoch oder niedrig ein Strafbefehl ausfällt und wie sehr das Verfahren manchmal zum Schmunzeln verleitet: Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass der bürgerliche Staat mit seinen zur Verfügung stehenden Repressionsorganen genau so funktioniert, wie wir es heute auf lokaler (und niederschwelliger) Ebene gesehen haben. Wer nicht penibelst nach den staatlichen Regeln spielt, soll durch massives Polizeiaufgebot bei Demos eingeschüchtert werden, muss mit Diffamierung in der Presse rechnen oder wird, wie hier geschehen, vor Gericht gezerrt. Ein Blick über den Tellerrand hinaus zeigt dabei auch, dass Kriminalisierungsversuche von Antifaschist:innen nicht an der Landauer Ortsausfahrt enden.

Ob das Verfahren gegen einen Versammlungsleiter letztlich eine Retourkutsche für zwei gezündete Rauchtöpfe war, derer:n Verursacher:innen man nicht habhaft werden konnte – man weiß es nicht. Ob hinter diesem Verfahren eine politische Motivation steckt, um die so genannte Versammlungsfreiheit im Sinne des Staates auszulegen – man kann es mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit annehmen. Dies legte der Genosse auch in seiner Prozesserklärung (siehe unten) am Ende der Verhandlung nochmal dar. Ebenso ging er auf die Kontinuität des Faschismus nach der Befreiung 1945, aber auch auf die unrühmliche Rolle des Landauer Ordnungsamts ein.

Unter‘m Strich bleibt nach Beratung des Gerichts ein Freispruch stehen, der selbstverständlich erst einmal freut, aber nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass es in den meisten Prozessen gegen die Antifa-Bewegung anders aussieht. Bereits geringste Regelübertritte sorgen in politischen Prozessen in aller Regel für Tagessätze fernab von Gut und Böse und hohe Geldstrafen. Es bleibt richtig, nicht auf diesen Staat zu vertrauen.

Die Prozesserklärung:

Viel gehört heute, wenig Neues. Was ich jetzt wann genau gesagt oder eben nicht gesagt habe, sollte heute hier verhandelt werden. Ich denke, das stimmt so nicht so ganz. Ich denke, hier sollte ich quasi als Bauernopfer herangezogen werden, für eine Demonstration auf der sich Menschen für eine aktive, selbstbestimmte antifaschistische Gedenkkultur eingesetzt haben.

Dabei haben wir doch gerade erst vor ein paar Monaten gesagt bekommen, man solle sich gegen Rechts wehren, man müsse zusammenstehen für die Demokratie. „Nie wieder ist jetzt“ und alles drum und dran. Mich gegen rechts zu wehren, auf vielen Ebenen, das mache ich seit einigen Jahren – aus tiefster Überzeugung. Also warum sitze ich hier?

Ich habe eine Demonstration angemeldet und als Versammlungsleiter durchgeführt. Wenn man Olaf Scholz oder Bauchschmerzen-Baerbock fragt, dann ist die Versammlungsfreiheit DAS Gut unserer Demokratie schlechthin. Das, was uns von vermeintlichen Schurkenstaaten wie China oder Russland unterscheidet. Ich frage mich, ob palästinasolidarische Aktivist:innen, deren Demos wochenlang pauschal verboten oder zerschlagen wurden, das auch so sehen.

Aber gut, zum 8. Mai 2022.

Kurzum möchte ich sagen: Es geht bei Angriffen auf Demonstrationen – ob mit Schlagstock oder Strafbefehl – nicht so sehr darum, was jetzt genau gegen welchen Paragraphen verstoßen haben soll, es handelt sich dabei immer auch um politische Entscheidungen. So war das auch als 2021 die 8. Mai Demo einfach kurzfristig vom damaligen Oberbürgermeister Hirsch verboten wurde. Und es sind diese politischen Entscheidungen, die politische Antworten erfahren. Ob das wie 2021 eine unangemeldete Spontandemonstration als Reaktion auf das Demoverbot war oder ob das wie vor zwei Monaten das selbstbestimmte Verändern der Route ist, weil einem die eingesetzte Polizei zu nahe kommt.

Und da sind wir doch beim Punkt. Ich sitze hier doch nicht, weil da 2022 zwei, drei Transparente zusammengehalten wurden, sind wir doch mal ehrlich. Ich sitze hier doch, weil zwei Rauchtöpfe in der Demonstration angezündet wurden und die Polizei nicht wusste von wem. Da hat man sich dann gedacht, ‚versuchen wir es über einen anderen Weg‘. Erst mal einen absolut reißerischen Bericht in der Lokalzeitung anregen und es mit der Wahrheit dabei auch nicht zu übertreiben. „Ja, schreib ruhig noch rein, dass es einen körperlichen Angriff auf einen Ordnungsbeamten gegeben hätte, prüft doch eh niemand nach“.

Wegen bisschen Sprühkreide und etwas Rauch. Meine Güte, dabei hat sich doch niemand was getan, das gehört in jedem Fußballstadion oder beim Streik zum guten Ton.

Apropos guter Ton. Etwas, das das Landauer Ordnungsamt scheinbar nicht beherrscht, das muss ich kurz ausführen. Wir schreiben den 27. Januar diesen Jahres, den Jahrestag der Befreiung des Konzentraionslagers Auschwitz durch die Rote Armee und nur kurze Zeit nach Bekanntwerden der Deportationsvorhaben der AfD. Nach einer Kundgebung eines antifaschistischen Bündnisses wollen die Teilnehmenden noch zum Landauer Friedhof ziehen um am Mahnmal für die Opfer des Faschismus zu gedenken und Blumen niederzulegen. Das Ordnungsamt hat das durch eine investigative Recherche spitz bekommen und uns mitgeteilt, wie wir vom Stiftsplatz zum Friedhof laufen dürften, es hat ja alles seine Ordnung. Als wir dann, es müsste 17 Uhr gewesen sein, am Friedhof ankamen, schließen Bedienstete des Ordnungsamts diesen eine Stunde vor der eigentlichen Schließzeit ab, um antifaschistische Gedenkkultur zu verhindern. Sie beteuern, sie haben eine Anweisung dazu bekommen. Deutsche Ordnungsbehörden und ihre Anweisungen immer…

Dass die Gedenkaktion dann letzten Endes durch einen anderen Eingang trotzdem auf den Friedhof kam und durchgeführt wurde, veranlasste das Ordnungsamt die Polizei hinzu zu ziehen. Meiner Meinung nach spricht das Bände darüber, wie unanständig und geschichtsvergessen eine Behörde sein kann. Wenn es diese Behörde ist, die ein Verfahren gegen mich anregt, ich weiß gar nicht ob ich mich nicht darüber freuen sollte.

Und spannen wir doch den Bogen zum 8. Mai zurück. Denn der 8. Mai 1945 ist der Tag der Befreiung, aber markiert gleichzeitig auch den Start einer Kontinuität. Denn der deutsche Faschismus an der Macht hatte zwar sein Ende gefunden und doch lebte er in den Lehrstühlen, Wirtschaftskammern aber vor allem in den Behörden Westdeutschlands weiter. In einem Staat, in dem Nazis den Geheimdienst aufbauen und in dem mit der Kommunistischen Partei die größte antifaschistische Organisation nur 11 Jahre nach Kriegsende verboten wird, ja, in einem solchen Staat wundert es mich nicht, dass es keine Entnazifizierung gab. Da wundert es mich nicht, dass sich Rechte auch heute noch pudelwohl in Sicherheitsbehörden fühlen und da wundert es mich nicht, dass des Deutschen heißgeliebte Ordnung weit über Anstand, Moral und Erinnerungskultur steht.

In diesem Sinne, möge man mich schuldig oder frei sprechen, ob ich etwas gesagt habe oder nicht, ob ich kooperativ war oder den Herrn Kirch ignoriert habe und ob zwei zusammengehaltene Stücke Stoff ein krimineller Akt sind. Möge man mich dafür schuldig sprechen oder eben nicht, wichtig ist doch letztlich, dass wir auch am nächsten 8. Mai auf die Straße gehen und auch an 364 weiteren Tagen im Jahr gegen rechts aktiv sind. Danke an alle, die mich hier heute vor Gericht begleitet haben, Solidarität ist unsere Waffe.