Ab 37,90 Euro kommt man mit dem Super Sparpreis der Deutschen Bahn von München nach Budapest. Ein verlockendes Angebot, vor allem an junge Menschen, die die Welt erkunden wollen. Budapest. Das klingt nach Kultur, nach Geschichte, in unserem vorurteilsbehafteten Denken auch nach gutem Essen und in weniger als einer Stunde ist man schon am Balaton. Doch wollen wir nicht nur die Hauptstadt besichtigen, sondern mehr sehen von diesem Land. Also packen wir die Rucksäcke und besteigen den Zug, um ein Land zu erkunden, das uns seit dem letzten Jahr auf unangenehme Weise fesselt.
Unser erster Zwischenstopp führt durch Wien. Der Stopp gilt Menschen, die hier Exil suchten, da sie den Staat in seinen ideologischen Grundfesten angriffen. Die „Central European University“ (CEU), eine von George Soros Anfang der 1990er Jahre gegründete private Universität, musste sich Orbán geschlagen geben. Die Uni hat sich der Ausbildung humanistischer und demokratischer AkademikerInnen verschrieben und war eine Art Eliteinstitution. Orbán, der selbst an dieser Uni war, fand in Soros ein wunderbar einfaches Feindbild, dem er – geht es um Migration oder andere innere Krisen – nur allzu gern Strippen an die Finger zeichnet. 2017 wurde ein Gesetz erlassen, welches die CEU vom Lehrbetrieb in Ungarn ausschließt. Die Uni, Lehrkräfte und Studierende gingen nach Wien. Auch wenn man sich kämpferisch gibt, so sieht es nicht danach aus, als würde man allzubald den Lehrbetrieb in der ungarischen Hauptstadt wieder aufnehmen.
So geht es vielen jungen Menschen in Ungarn. Sie wandern, wenn sie die Möglichkeit haben, oft in Richtung Westen ab, denn eine der Stellen anzunehmen, die sich bieten, bedeutet eben auch fast immer, sich mit der Regierungs-Partei Fidesz gemein zu machen. Wer das nicht möchte, bleibt auf seinem Abschluss sitzen oder eben nicht in Ungarn.
Da wollen wir aber erst einmal hin. Also weiter mit dem Zug in Richtung paneuropäische Verständigung. Wir haben keine Zeit für Urlaub, wir wollen nach vorn schauen, wohin sich Ungarn entwickelt und da treibt es uns nach Csókakö. 80 Kilometer entfernt von der Hauptstadt. Einem kleinen Örtchen mit malerischer Burg, an deren Fuß 2012 ein Denkmal zu Ehren Miklós Horthy errichtet wurde. Horthy war verantwortlich für die ersten ,Judengesetze‘ in Ungarn sowie mitverantwortlich für JüdInnendeportationen. An der Zeremonie zur Enthüllung nahm Ortsbürgermeister und Fidesz-Mitglied György Fürész teil, der ebenso wie der Fidesz-Parteivorsitzende Viktor Orbán selbst keine Probleme in der Ehrung von KriegsverbrecherInnen sieht. Diese späte Ehrung wird auch anderen NationalistInnen zuteil und von Orbán benutzt, um das große Ungarn der Vergangenheit aufleben zu lassen, den Stolz zur Nation wiederzuerwecken und aus dem platten taktischen Grund, der ultra-rechten Jobbik die WählerInnenschaft streitig zu machen. Wie gut diese Taktik funktioniert und wie effektiv sie gegen Politik rechts von Orbán ist, kann man ironischerweise elf Jahre später in dem gleichen kleinen Örtchen beobachten.
Am 6.Mai 2023 trafen sich hier mehrere Hundert Neonazis und NeofaschistInnen aus ganz Europa, um zu ‚kämpfen‘. Nachdem der Versuch, das Event in Budapest stattfinden zu lassen, kurzfristig scheiterte, zog man nach Csókakö. Am Vereinsheim des örtlichen Sportplatzes wurde ein Ring errichtet und die „European Fight Night“ konnte beginnen. Organisiert von deutschen Neonazis, deren „Kampf der Nibelungen“ in Deutschland keine Kämpfe mehr ausrichten darf, von Tomasz Szkatulsky, dem Kopf von „Pride France“ und von Incze Béla, der die „Légió Hungária“ mitgegründet hat, dient das Treffen vor allem der internationalen Vernetzung. Nur durch diese ist es ihnen möglich, ebensolche Veranstaltungen zu organisieren – weshalb es umso wichtiger ist, diese Treffen nicht nur zu dokumentieren, sondern auch einen offensiven Umgang damit zu finden. Anders als der Bürgermeister von Csókakö:. das ist noch immer György Fürész-dieser gibt öffentlich zu verstehen, dass die BesucherInnen ihm versichert hätten, keine Neonazis zu sein und
der Besuch eines von Neonazis mitorganisierten Fußballturniers in seinem Ort, dient sicherlich auch nur dazu, mal nach den Rechten zu sehen.
Wir steigen wieder in den Zug und denken unweigerlich daran, wie man mit „kleinen Paschas“, die zum Zahnarzt gehen, die Leute von der AfD wegholt; wird schon klappen, Fritze. Bevor wir endlich nach Budapest fahren, müssen wir wohl oder übel noch einmal ins Ländliche fahren. Nach Tatárszentgyörgy. Eine kleine Gemeinde, die „Berühmtheit“ erlangte, da auch hier Menschen Opfer einer rassistischen Mordserie wurden. Rober Csorba und sein vierjähriger Sohn wurden erschossen, das Haus, in dem sie lebten, in Brand gesteckt. Dies ausschließlich, weil sie Roma waren. Drei Täter wurden dafür teilweise zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Restlos aufgeklärt ist der Fall bis heute nicht. Nicht weil die Täter schweigen, nein, sie reden sogar. Vielmehr ist das ‚Problem‘, dass die Opfer Roma waren.
Sie waren Teil der bis heute größten Minderheit in Ungarn, immerhin knapp zehn Prozent Rom*nja leben hier. Doch haben sie nicht nur keine Lobby, nein, sie interessieren schlicht keinen. Sie sind oftmals Spielball der Politik, wenn ihnen erneut falsche Versprechungen gemacht werden und ansonsten Störenfried der Regierung. Die will schließlich Politik für echte Ungarn machen. Vor allem in den ländlichen Regionen kommt es immer wieder zu Gewaltverbrechen gegen Rom*nja.
In den Medien findet das jedoch keinen Platz. Denn schaut man sich die Zeitungsauslage am Bahnhofskiosk an, so könnte man wahrscheinlich gar nicht näher an Orbáns Gedankenwelt kommen. Das ist es, was dort steht. Und nur das. Da ist kein Platz für Berichte von rechten Übergriffen auf Minderheiten, für Informationen über den Klimawandel oder Debatte und Austausch. Die ungarische Medienlandschaft ist zur Propagandamaschinerie der Fidesz verkommen. Die letzten unabhängigen Medien müssen ihre Auflage im Ausland drucken lassen, da es für die Druckereien in Ungarn nur Probleme mit sich bringen würde. Für eine Berichterstattung aus den ländlichen Gebieten fehlt es den kleinen Redaktionen auch schlicht an Geld und Personal. Wer die Kapelle zahlt, der bestimmt nun mal die Musik und das sind in Ungarn eben Orbán und seine FreundInnen.
Angekommen in Budapest, wollen wir eigentlich nur noch essen, doch wir werden abgelenkt von einer komisch anmutenden Buchhandlung. Eine bunte Auslage mit vielen Tieren, gezeichneten Figuren und ZauberInnen… also Zauberern und Hexen meine ich. Denn die ZauberInnen sind nicht ersichtlich. Die sind weggeschlossen, extra eingepackt. Alles zu unserem Schutz, zum Schutz der Kinder. Denn die würden, so glaubt Viktor Orbán, die Kinder im wahrsten Sinne des Wortes verzaubern und es gäbe keine Männer und Frauen mehr und das ungarische Volk würde schwach werden… das was alte Männer eben so sagen, wenn sie etwas nicht verstehen und sich bedroht fühlen.
Am meisten bedroht fühlt sich Viktor übrigens von MigrantInnen und Gendern. Das könnte man jetzt belächeln, doch es schafft für Betroffene eine Situation, in der es keinen Safe Space gibt. In der du dir überlegen musst, ob es in diesem oder jenem Stadtteil okay ist, deinE PartnerIn an der Hand zu halten oder nicht. In der du dir sicher sein solltest, mit wem du über deine Sexualität redest, könnte dich ‚Nachlässigkeit‘ um deinen Job oder letztlich sogar um dein Leben bringen.
Gerade angekommen, stellt sich Ernüchterung ein. Haben wir gerade 37,90 € gezahlt und einen Blick in die Zukunft gemacht? Wird es für andere Länder Europas, deren Regierungen mit Neonazis paktieren oder diesen nicht entgegentreten, genauso aussehen in ein, zwei Legislaturperioden? Oder haben wir gerade nochmal Glück gehabt, dass der Aufstand der Anständigen 2.0 uns vor Schlimmerem bewahrt? Daran glauben wir nicht und dem wollen wir nicht ausgeliefert sein.
Wir wollen aktiv sein, agieren statt zu reagieren und nicht darauf warten, dass wir noch weitere FreundInnen und GefährtInnen verlieren. Wir werden uns ein eigenes Denkmal bauen, bauen euch ein Denkmal. Euch, die ihr seit über einem Jahr nicht bei uns sein könnt. Die ihr Widrigkeiten aushaltet, die wir uns nicht vorstellen können. Euch, die wir jeden Tag vermissen und mit denen wir wieder gemeinsam aktiv sein wollen. Auch wenn andere es vielleicht niemals verstehen werden, verstehen wir all diejenigen umso besser, die das Gefühl der Schwere des Herzens in ihre Hände legen und aktiv werden. Die das Gefühl der Ohnmacht durchbrechen und ganz einfach Mensch bleiben wollen. Wir sind bei euch, egal wie, egal wo. Denn am Ende bleibt stehen, Antifaschismus bleibt legitim und Solidarität bleibt notwendig: FreeAllAntifas.
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