Einordnung zur Migrationspolitik im Sondierungspapier von CDU und SPD

Vergangene Woche haben SPD und CDU die Ergebnisse ihrer Sondierungsgespräche bekannt gegeben und die Koalitionsverhandlungen für die neue Bundesregierung aufgenommen. In den Wochen vor der Wahl hatte die CDU klar gemacht, wo sie migrationspolitisch hin möchte: Gemeinsam mit der Nazi-Partei AfD den Schutzstatus geflüchteter Menschen abschaffen damit die Lehren aus dem Nationalsozialismus rückgängig machen. Die offene Zusammenarbeit von CDU und AfD haben die anderen sogenannten „Parteien der Mitte“, wie z.B. die SPD, noch vor wenigen Wochen kritisiert. Doch statt für die Rechte Geflüchteter zu streiten, hat sich die SPD nun mit der CDU geeinigt, die nächsten vier Jahre gemeinsam genau diese rassistische und menschenverachtende Politik zu betreiben. Das freut die AfD, denn diese muss nicht mal regieren, damit ihre rechten bis faschistoiden Forderungen umgesetzt werden. Bekenntnisse der CDU und SPD gegen die AfD sind kein Stück ernst zu nehmen, wenn sie solche Politik betreiben. Es zeigt: Es geht ihnen nicht darum, eine andere Politik als die AfD zu betreiben, sondern nur darum, ihre Macht zu erhalten. Die SPD ist bereit, immer wieder und wieder all ihre „Werte“ zu verraten, um zu regieren.

Auf was haben sich CDU und SPD bezüglich Migration geeinigt?

1. CDU und SPD wollen „den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten befristet aus(setzen)“ (CDU; SPD 2025, S. 9).

Subsidiär Schutzberechtigte sind in Deutschland Menschen, denen ein Recht auf Asyl aberkannt wurde und die nicht nach der Genfer Flüchtlingskonvention „schutzberechtigt“ sind, denen aber in ihrem Herkunftsland ein „ernsthafter Schaden“ (AsylG. Art. 4 (1)) droht. Als „ernsthafter Schaden“ gilt die Todesstrafe, Folter, „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ (AsylG Art. 4 (1) Nr. 2) oder Gefahren im Rahmen von Kriegen. Denn grundsätzlich sind Kriege kein Grund für Asyl in Deutschland (vgl. Flüchtlingsrat Niedersachsen 2020). Asylberechtigte und Geflüchtete im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention haben das Recht auf Familiennachzug gemäß der EU-Familienzusammenführungsrichtlinie. Das Recht auf Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte ist darin jedoch nicht verankert und nur durch nationales Recht festgeschrieben. Die deutsche Regierung ist jedoch nicht völlig frei in ihrer Entscheidung, ob sie subsidiär Schutzberechtigten einen Familiennachzug gewährt: Eine Verwehrung widerspricht dem Schutz von Ehe und Familie, der im Grundgesetz verankert ist (GG Art. 6), sowie dem Recht auf Achtung des Familienlebens, gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK Art. 8). So urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2021, dass Dänemark den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte nicht komplett aussetzen darf. Demnach dürfen Staaten den Familiennachzug maximal zwei Jahre aussetzen, müssen danach jedoch jeden Einzelfall prüfen. Im aktuell herrschenden Diskurs wird Fluchtmigration vor allem als Gefahr und Bedrohung geframed. Die Forderung, Familiennachzug auszusetzen, ist eines von vielen Beispielen, das dem vorgeblichen Ziel der „Sicherheit“ entgegenwirken könnte, denn eine Trennung von der Familie stellt eine psychische Belastung für die Betroffenen dar, erschwert es ihnen „anzukommen“ und wirkt damit integrationshemmend und könnte, so die kriminologische Forschung, auf Grund ihnen verwehrter familiärer und sozialer Einbindung das Risiko für Straffälligkeit der Betroffenen steigern (vgl. Mediendienst Integration 2025b).

2. CDU und SPD wollen „das Ziel der ‚Begrenzung‘ der Migration (…) ausdrücklich in das Aufenthaltsgesetz aufnehmen“ (CDU; SPD 2025, S. 8).

In einem Gesetz das den Aufenthalt von Personen regeln soll, die Verhinderung des Aufenthalts bestimmter Personen zum Ziel zu erklären, zeigt klar eine ideologische Ausrichtung. Reduzieren möchten CDU und SPD die „irreguläre Migration“ (ebd., S. 1). Der Begriff der „irregulären Migration“ ist ein rechter Kampfbegriff. Durch Militarisierung der Außengrenzen, immer neue Gesetzesverschärfungen, wie z.B. die Verschärfungen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS), und das Unterlassen sowie Behindern und Kriminalisieren von Seenotrettung, ist es Flüchtenden de facto gar nicht mehr möglich, legal und regulär nach Europa zu migrieren. Flucht wurde also fast komplett illegalisiert, um im Anschluss gegen Flüchtende hetzen zu können. Die Verschärfungen des GEAS, die CDU und SPD noch 2025 auf nationaler Ebene im Gesetz verankern möchten (vgl. ebd., S. 9), stellen beispielsweise die faktische Abschaffung des individuellen Rechts auf Asyl dar. Wenn CDU und SPD von „irregulären Migrant*innen“ sprechen, sprechen sie nicht von Menschen, die etwas falsch gemacht haben, sondern von all denen die sich nicht vollständig an die restriktiven Regeln der Herrschenden gehalten haben: Sich in Haftlagern an den Grenzen einsperren lassen haben, sich von prügelnden Grenzpolizist*innen zurückdrängen lassen haben, …

4. CDU und SPD wollen „freiwillige Bundesaufnahmeprogramme, soweit wie möglich, beenden (z.B. Afghanistan) und keine neuen Programme auflegen“ (CDU; SPD 2025, S. 9).3. CDU und SPD wollen an den deutschen Grenzen „Zurückweisungen“ (CDU; SPD 2025, S. 8) „auch bei Asylgesuchen vornehmen“ (ebd.).

Nach deutschem und internationalem Recht, haben Geflüchtete das Recht auf ein Asylverfahren und dürfen ohne ein solches nicht an den Grenzen „zurückgewiesen“ werden (AufenthG § 15, GFK Art. 33, EMRK Art. 3). Auch Geflüchtete, die über europäische Nachbarländer einreisen, dürfen nicht ohne Zuständigkeitsüberprüfung nach der Dublin-III-Verordnung „zurückgewiesen“ werden. In dieser wird überprüft, ob ein anderer europäischer Staat für das Asylverfahren der betroffenen Person zuständig ist. Diese Überprüfung dauert mehrere Wochen, sodass die Behörden die betroffenen Personen einreisen lassen müssen. Dass „Zurückweisungen“ an den EU-Binnengrenzen rechtswidrig sind, bestätigen Urteile des Europäischen Gerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. Mediendienst Integration 2025a). Wie die Vorhaben von CDU und SPD mit geltendem Recht vereinbar sein sollen, bleibt uns ein Rätsel. Wir schreiben von „Zurückweisungen“, da dies, wie viele andere Begriffe, die die Herrschenden benutzen, ein Euphemismus für gewaltvolle illegale Abschiebungen ist. Die Polizei wendet zur Durchsetzung zum einen hinterlistige Methoden an: Auf einem Formular der Bundespolizei, das Geflüchtete an der Grenze ausfüllen müssen, müssen diese den Grund ihrer „Reise“ ankreuzen. Das Formular der Polizei gibt vier Antwortmöglichkeiten: Besuch von Bekannten oder Verwandten, Urlaub oder Geschäftsreise. Ein Asylgesuch können die Geflüchteten auf dem Papier nicht ankreuzen. Kreuzen sie eine andere Antwort an, schiebt die Polizei sie ab (vgl. Süddeutsche Zeitung 2024). Zum anderen können wir uns angesichts der zahllosen Berichte aus anderen europäischen Ländern über hemmungslose Polizeigewalt bei solchen Pushbacks (die Berichte reichen von Tritten und Schlägen mit harten Gegenständen und Peitschen über das Werfen von gefesselten Flüchtenden in Grenzflüsse und Schüsse bis zu Vergewaltigungen (vgl. Spiegel 2021; ECCHR 2023)), den Forderungen von Politiker*innen, auf Flüchtenden zu schießen (vgl. FAZ 2016) und den zahllosen Fällen, in denen die deutsche Polizei rassifizierte Menschen getötet hat (vgl. Death in Custody), nicht darauf verlassen, dass die Polizei bei solchen Pushbacks keine physische Gewalt anwendet.

4. CDU und SPD wollen „freiwillige Bundesaufnahmeprogramme, soweit wie möglich, beenden (z.B. Afghanistan) und keine neuen Programme auflegen“ (CDU; SPD 2025, S. 9).

Staatliche Aufnahmeprogramme könnten in Fällen wie der Machtergreifung der Taliban 2021 in Afghanistan eine Möglichkeit bieten, vielen Menschen über sichere Fluchtwege, wie z.B. Luftbrücken mit Flugzeugen, das Leben zu retten. Staatliche Aufnahmeprogramme könnten Menschen das Leben retten, ohne, dass diese eine lebensgefährliche Flucht auf sich nehmen müssten und ohne, dass diese die Unsicherheit während der Dauer ihres Asylverfahrens ertragen müssten. Staatliche Aufnahmeprogramme könnten ein Schritt sein, die „humanitäre Verantwortung“ (ebd., S. 8), von der CDU und SPD sich immer noch anmaßen zu reden, ernst zu nehmen. Jedoch triefte auch das Aufnahmeprogramm für gefährdete Afghan*innen schon an Intransparenz und Bürokratie, sodass in den ersten 20 Monaten (von Oktober 2022 bis Juni 2024) nur 530 Afghan*innen mit ihm nach Deutschland kamen. Die Bundesregierung hatte im Oktober 2022 bekannt gegeben, dass ab sofort 1000 gefährdete Afghan*innen pro Monat mit dem Aufnahmeprogramm nach Deutschland einreisen können (vgl. Migazin 2024). Mit der Ankündigung, alle Bundesaufnahmeprogramm einzustellen und keine neuen aufzulegen, bekennen sich CDU und SPD dazu, Aufnahme von gefährdeten Menschen auf das Minimum zu begrenzen, aus dem sie sich rechtlich nicht herauswinden können.

5. Stattdessen wollen CDU und SPD nach „Afghanistan und Syrien (…) abschieben – beginnend mit Straftätern und Gefährdern“ (CDU; SPD 2025, S. 9).

Während Politiker*innen von CDU und SPD in Deutschland Islamismus zur Hauptgefahr erklären und mit rassistischer Hetze beinahe alle Geflüchteten aus Afghanistan und Syrien zu islamistischen Gefährdern erklären, sehen sie kein Problem darin, Frauen, queere Menschen, Angehörige religiöser und ethnischer Minderheiten, Kurd*innen und politische Oppositionelle, die vor Islamist*innen geflohen sind, in Gebiete abzuschieben, in denen Islamist*innen herrschen. Mit der Formulierung „Straftäter und Gefährder“ knüpfen sie an die Erzählung an, es ginge nur um die Aufrechterhaltung des Rechtsstaats. Einerseits ist die Logik dahinter, schwere Gewalttäter*innen in ihre Herkunftsländer abzuschieben, damit sie ihre Gewalt nicht „hier“ ausüben, rassistisch, da sie zu Ende gedacht bedeutet, dass mensch ihre Taten weniger schlimm findet, wenn sie nicht in Deutschland oder an Deutschen verübt werden. Andererseits sind die Auffassungen, welche Straftaten eine Abschiebung in Folter und Mord rechtfertigen bis Weilen bizarr: Carsten Linnemann (CDU) forderte, Geflüchtete schon nach zweimal Fahren ohne Fahrschein oder Ladendiebstahl, Straftaten, in die Menschen mit wenig Geld gezwungen werden, abzuschieben (vgl. Zeit 2024). Und schon im ersten Abschiebeflug nach Afghanistan saß, neben Männern, die schwere Gewalt- oder Sexualverbrechen begangen hatten, ein Mann, der nur gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen hatte (vgl. RND 2024). Dies zeigt: Die Forderung nach der Abschiebung von Täter*innen schwerer Verbrechen dient nur als Toröffner, wieder alle, die die Behörden in ihre Finger bekommen, nach Afghanistan und Syrien abschieben zu können. Mit der Formulierung „beginnend mit Straftätern und Gefährdern“ kündigen CDU und SPD dies auch bereits an.

6. CDU und SPD wollen den „verpflichtend beigestellten Rechtsbeistand vor der Durchsetzung der Abschiebung“ (CDU; SPD 2025, S. 9) abschaffen.

Die baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges (CDU) jammerte bereits 2024 darüber, dass Geflüchtete im Falle einer Abschiebung Anwält*innen haben, die in manchen Fällen die Einhaltung des Rechts sichern und Abschiebungen verhindern (vgl. ZDF spezial 2024). Genau an diesem Punkt möchten CDU und SPD nun ansetzen. Die, die sich bei der Abschiebung von Straftäter*innen auf die Aufrechterhaltung des Rechtsstaats beziehen, wollen ihn also gleichzeitig abbauen. Diese kognitive Dissonanz ist nur damit zu erklären, dass es ihnen nicht um den Rechtsstaat geht, sondern nur darum, die Abschiebezahlen in die Höhe zu treiben.

7. CDU und SPD wollen eine „Rückführungsoffensive starten“ (CDU; SPD 2025, S. 9). Dazu wollen sie „umfassende gesetzliche Regelungen (erarbeiten), um die Zahl der Rückführungen zu steigern“ (ebd.).

Auch beim Thema Abschiebungen setzen CDU und SPD weiter auf Euphemismen und sprechen wie bereits die vorherige Regierung aus SPD, Grüne und FDP von „Rückführungsoffensive“. Was neue Gesetze in diesem Fall bedeuten können, zeigt das sogenannte „Rückführungsverbesserungsgesetz“ der vorherigen Ampelregierung: Unter anderem erlaubte das Gesetz Polizist*innen in Geflüchtetenunterkünften ungeachtet des Rechts auf Privatsphäre jeden Raum zu betreten, auch von völlig Unbeteiligten, auch mitten in der Nacht. Was ein nächtlicher uniformierter Überfall mit schwer traumatisierten Geflüchteten machen kann, ist für uns nur schwer vorstellbar. Auch die großflächige Überwachung der Handys von Geflüchteten, um Gründe für Abschiebungen zu finden, wurde mit dem „Rückführungsverbesserungsgesetz“ legalisiert (vgl. Pro Asyl 2024a).

8. CDU und SPD wollen „verstärkt Migrationsabkommen abschließen, um legale Zuwanderung zu steuern und die Rücknahmebereitschaft sicherzustellen“ (CDU; SPD 2025, S. 9).

Das wohl berühmteste Beispiel für ein Migrationsabkommen ist der EU-Türkei-Deal. Dieser veranschaulicht recht gut, das Problem solcher Abkommen: Nicht nur die Staaten der EU sind nationalistische Konstrukte und wollen Migration neben der „Fachkräftezuwanderung“ begrenzen. Sie nehmen Geflüchtete also nicht ohne Gegenleistung zurück. Die EU zahlte der Türkei 6 Milliarden Euro und gab ihr eine Zusage für EU-Visafreiheit für Türk*innen, damit die Türkei alle „irregulären“ Geflüchteten, die nach dem 20. März 2016 auf die griechischen Inseln flohen, zurück nimmt. Mit dem Migrationsabkommen kaufen sich also ein oder mehrere Staaten von Geflüchteten frei. Diese müssen im Falle des EU-Türkei-Deals in einem Staat bleiben, der für viele nicht sicher ist (vgl. Amnesty International Schweiz 2016), wie z.B. für Kurd*innen, gegen die Erdoğan in Rojava eine ethnische Säuberung betreibt (vgl. Pro Asyl 2024b; Jacobin 2024). Um die Deals nicht zu gefährden, kuschen die Regierenden dann auch vor der türkischen Regierung und verurteilen nicht deren ethnische Säuberung, sondern fordern die Entwaffnung der Angegriffenen (vgl. Spiegel 2024).

9. CDU und SPD „wollen, dass die Bezahlkarte deutschlandweit zum Einsatz kommt, und werden ihre Umgehung unterbinden“ (CDU; SPD 2025, S. 9).

Das rassistische und sozialchauvinistische Kontrollinstrument Bezahlkarte ist entwürdigt Geflüchtete und grenzt sie aus. Begründungen, wie, dass damit aufwendige Bargeldauszahlungen abgeschafft werden sollen, sind ein Feigenblatt, denn die Bezahlkarte wird für die deutschen Verwaltungen einen enormen Mehraufwand bringen, weswegen diese vielerorts die Bezahlkarte auch nicht wollen. Die Bezahlkarte macht Geflüchtete außerdem zum Sündenbock für die Krisen, die der Kapitalismus und seine Profiteuer*innen verursachen, um von deren Verantwortung abzulenken. Sie ist reine rassistische Symbolpolitik. Mit Tauschinitiativen können die Eingriffe in die finanzielle Autonomie der Geflüchteten umgangen werden: Mit der Bezahlkarte können sie nur in ausgewählten Läden einkaufen. Sie können jedoch Gutscheine von bspw. Supermärkten kaufen. Diese können solidarische Mitmenschen ihnen abkaufen: Die Geflüchteten erhalten das Bargeld, die solidarischen Menschen erledigen mit dem Gutschein ihren Wocheneinkauf. Diese solidarischen Tauschaktion möchten CDU und SPD „unterbinden“. Wie genau, werden wir sehen. Aber wir sollten uns auf ihre Angriffe auf unsere Solidarität vorbereiten.

10. CDU und SPD wollen „die Liste der sicheren Herkunftsstaaten (…) fortlaufend erweitern“ (CDU; SPD, 2025, S. 9).

Die Erfahrung aus den letzten Jahren hat gezeigt, dass die Begründungen, warum einzelne Staaten sicher sein sollen, immer absurder wird. So haben deutsche Politiker*innen aus ihrem weißen Elfenbeinturm heraus queeren Geflüchteten bereits empfohlen, ihre Identität einfach ihr Leben lang zu verstecken, um queerfeindlicher Verfolgung aus dem Weg zu gehen. Diese Urteile über die Lebensrealitäten geflüchteter sind triefen vor Ignoranz. Wenn die Bundesregierung einen Staat als sicher erklärt, ist ein kritischer Blick und in vielen Fällen unser entschlossener Widerspruch geboten.

11. CDU und SPD wollen „Terrorunterstützern, Antisemiten und Extremisten (…) die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen“ (CDU; SPD, 2025, S. 9).

Damit knüpfen sie an Friedrich Merz Forderung an, für die er bereits vor zwei Monaten heftige Kritik erhalten hat. Die Formulierung von CDU und SPD wirkt so, als sei Antisemitismus vor allem ein Problem von Migrant*innen, was angesichts der deutschen Geschichte und dessen, dass nie eine Entnazifizierung stattgefunden hat, hanebüchen ist. Bei der Nennung von „Terrorunterstützern“ fragen wir uns, wessen Maßstäbe angelegt werden. Für den türkischen Staat, dessen Einstufung viele Politiker*innen in Deutschland und Europa folgen, gelten große Teile der kurdischen Befreiungsbewegung als solche. Und der Extremismus-Begriff ist problematisch, da er rechts und links gleichsetzt. Reaktionäre Ideologien müssen bekämpft werden – ob Rechtsradikalismus, Antisemitismus, Islamismus oder andere fundamentalistischen Auslegungen von Religion. Dies sollte jedoch unabhängig vom Pass einer Person geschehen. In Deutschland ist nach wie vor Rechtsradikalismus die größte Gefahr, das geben ab und zu sogar Verfassungsschützer oder Innenminister*innen zu. Die populistische Forderung von Merz vermittelt ein anderes Bild. In Artikel 16 des Grundgesetzes heißt es: „Die deutsche Staatsbürgerschaft darf nicht entzogen werden“. Der Artikel ist eine Lehre aus dem Nationalsozialismus (vgl. taz 2025). Daran sollte nicht gerüttelt werden. Reaktionäre Ideologien sollten selbstverständlich bekämpft werden, doch dies erreicht mensch nicht durch Passentzug.

Die zynische Krönung der Frechheit ist, dass CDU und SPD diese ganzen Angriffe auf die Rechte von geflüchteten und rassifizierten Menschen mit „Deutschland ist ein weltoffenes Land und wird es auch bleiben“ (S. 8) überschreiben. Weltoffen wäre, Frontex abzuschaffen. Weltoffen wäre, sichere Fluchtwege zu schaffen und Seenotrettung zu betreiben. Weltoffen wäre, Aufnahme statt Abschottung. Weltoffen wäre es, Rassismus zu bekämpfen statt Geflüchtete. Was die CDU und die SPD betreiben ist das Gegenteil von Weltoffenheit. Sie betreiben eine Einteilung in gute und schlechte Ausländer*innen und bemessen den Wert des Lebens geflüchteter Menschen anhand derer Verwertbarkeit („Deutschland ist ein weltoffenes Land und wird es auch bleiben“ (S. 8). Die „Weltoffenheit“ von CDU und SPD endet mit dem Fachkräftemangel.

„Wir wollend die Polarisierung in unserem Land zurückdrängen, die durch irreguläre Migration verursachte Belastung unserer öffentlichen Infrastruktur beenden und auch damit den Zusammenhalt unseres Landes stärken“ (CDU; SPD 2025, S. 1).

Die öffentliche Infrastruktur in Deutschland ist nicht auf Grund von Migration überlastet, sondern weil sie kaputt gespart wurde. Die Schuld dafür Geflüchteten zuzuschieben, lenkt von der eigentlichen Ursache ab: einem System, das nicht auf das Gemeinwohl ausgerichtet ist, sondern auf den Profit der Wenigen. Die Polarisierung zwischen „Deutschen“ und „Ausländer*innen“ ist dienlich, um von den Ungerechtigkeiten des Kapitalismus abzulenken. CDU und SPD wollen diese Polarisierung nicht abschaffen, sondern sie „in unserem Land zurückdrängen“. Das bedeutet: Mit der Begrenzung von Migration heizen sie die rassistische Hetze gegen Geflüchtete weiter an. Statt einer Polarisierung auf dem Staatsgebiet wollen sie durch Abschiebungen und Pushbacks die Geflüchteten aber außen halten. „Den Zusammenhalt unseres Landes stärken“ heißt eine Wir gegen Die-Stimmung zu erzeugen: ein nationales „Wir“ innerhalb der deutschen bzw. europäischen Grenzen gegen ein „Die“ außerhalb der deutschen bzw. europäischen Grenzen. Aber die Grenze zwischen den Menschen verläuft nicht zwischen innen und außen, sondern zwischen oben und unten. Für ein gutes Leben für alle müssen wir der rassistischen Hetze der Regierenden eine entschlossene Absage erteilen und mehr zwischen oben und unten polarisieren. Keiner*keinem wird es besser gehen, wenn es Geflüchteten schlechter geht. Stattdessen müssen wir solidarisch mit allen Marginalisierten sein und uns gegen Ausbeutung und Diskriminierung zusammenschließen. Packen wir´s an!

Quellen:

Amnesty International Schweiz (2016): Beschämendes Abkommen.

CDU; SPD (2025): Ergebnisse der Sondierungen von CDU, CSU und SPD.

Death in Custody (o.D.): Todesfälle in Gewahrsam.

European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) (2023): Kroation: Brutale Pushbacks von Geflüchteten und sexuelle Übergriffe.

FAZ (2016): AfD-Vizechefin will Polizei sogar auf Kinder schießen lassen.

Flüchtlingsrat Niedersachsen (2020): Leitfaden für Flüchtlinge in Niedersachsen.

Jacobin (2024): Wie geht es für die Kurden im neuen Syrien weiter?

Migazin (2024): Hilfsorganisationen: Afghanistan-Aufnahmeprogramm fortsetzen.

Mediendienst Integration (2025a): Abschiebungen und „freiwillige Ausreisen“.

Mediendienst Integration (2025b): Was bedeutet ein Stopp des Familiennachzugs?

Pro Asyl (2024a): Das Gegenteil von Verbesserungen: Das neue Rückführungsgesetz verschlimmert die Lage.

Pro Asyl (2024b): In der Türkei verfolgt, von Deutschland abgelehnt: Kurd*innen brauchen Schutz!

RND (2024): Was bislang über die 28 abgeschobenen afghanischen Straftäter bekannt ist.

Spiegel (2021): Anti-Folter-Komitee prangert Gewalt kroatischer Grenzbeamter an.

Spiegel (2024): Baerbock fordert Entwaffnung von kurdischen Rebellen.

Süddeutsche Zeitung (2024): „Asylgesuch“ lässt sich nicht ankreuzen.

taz (2025): Merz will Straftätern Pass entziehen. Heimat ist bedingungslos.

ZDF spezial (2024): Nach dem Anschlag in Solingen – Welche Forderungen lassen sich umsetzen?

Zeit Online (2024): CDU fordert Abschiebung von Wiederholungstätern ab zweiter Straftat.