Studie stellt die Möglichkeit in den Raum, ohne die Konsequenzen zu diskutieren
In der aktuellen Sonntagsfrage liegt die AfD bei 19 Prozent – ein neuer Höchststand. Sie kokettiert damit, einen eigenen Kanzlerkandidaten (oder gar eine Kandidatin?) zur nächsten Bundestagswahl aufzustellen, und in verschiedenen Bundesländern werden Gedankenspiele zur Bildung von Mehrheiten rechts der Mitte unter Einbeziehung der AfD ventiliert. Während sich Regierung und konservative Opposition gegenseitig die Schuld am weiteren Aufstieg der extremen Rechten zuschieben, hat niemand eine konkrete und handhabbare Idee, wie der Aufstieg der AfD begrenzt werden kann.
In einer solchen Situation mag Tabula-rasa naheliegen: Warum nicht gleich die ganze Partei als verfassungsfeindlich verbieten? Das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) hat jetzt eine Ausarbeitung von Hendrik Cremer vorgelegt, die diese Möglichkeit durchbuchstabiert und feststellt, alle Voraussetzungen für ein (erfolgreiches?) AfD-Verbotsverfahren lägen vor. Die Partei wolle die »freiheitlich demokratische Grundordnung« beseitigen und gehe dieses Vorhaben planvoll an, womit auch das Tatbestandsmerkmal des »darauf Ausgehens« als Verbotsvoraussetzung erfüllt sei. Cremer führt gute Argumente an, die die prinzipielle Frontstellung der AfD gegen die Werte des Grundgesetzes verdeutlichen: von ihrem völkisch-rassistischen Menschenbild bis zur Verharmlosung des NS und der Übernahme faschistischer Ideologieelemente. Und er attestiert der Partei auch die Bereitschaft zur gewaltsamen Durchsetzung ihrer Ziele.
Trotz dieses gut begründeten Nachweises der Verfassungsfeindlichkeit der AfD lässt einen die Studie ratlos zurück, denn die Auswirkungen eines solchen abstrakt möglichen Verbotsverfahrens werden nur am Rande gestreift. Was würde es für die Stabilität der Demokratie bedeuten, wenn man die parteipolitisch erste Option von 20 bis 30 Prozent der Wähler*innen in Ostdeutschland und aktuell 19 Prozent in Gesamtdeutschland einfach verbieten würde? Was würde eine Verbotsdebatte über das Selbstvertrauen und den Zustand der Demokratie aussagen? Und schließlich: Würde eine Verbotsdebatte den bürgerschaftlichen und antifaschistischen Widerstand nicht schwächen, weil er an den Staat und seinen Repressionsapparat delegiert würde?
Das DIMR wird vom Innenministerium finanziert, man kann also davon ausgehen, dass der Vorstoß nicht völlig gegen Sichtweisen im BMI verstößt. Der Verfassungsschutz und sein Präsident Thomas Haldenwang lassen wenige Gelegenheiten aus, die AfD als verfassungsfeindlich zu bezeichnen. Allerdings ist die Abschreckungswirkung solcher Einstufungen inzwischen nahe null. Für Wähler jedenfalls, spielen sie keine Rolle. Insofern könnte der Vorstoß auch Ausdruck der politischen Ratlosigkeit in Regierungskreisen sein, wie dem Aufstieg der AfD politisch beizukommen ist.
Hendrik Cremer: Warum die AfD verboten werden könnte – Empfehlungen an Staat und Politik. Download unter: www.institut-fuer-menschenrechte.de
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