Bundesverband stellt Jahresbericht 2023 vor. Abarbeitung an der AfD, kaum Kritik an der Ampelkoalition
Die »Mitte« ist erschüttert – durch Erosionen von rechts: Der Bundesverband Mobile Beratung hatte für Montag vormittag zur Pressekonferenz in Berlin eingeladen. Anlass war der vorgelegte Jahresrückblick 2023 mit dem Titel »Wie Rechtsextremismus näher rückt – und was dagegen hilft«. »Wir beraten alle, die etwas gegen Rechtsextremismus tun wollen oder müssen«, leitete Jennifer Pross vom Bundesverband ein, erinnerte aber: »Wir sind kein Aussteigerprogramm!« Dem Dachverband gehören rund 50 mobile Teams an, die beim Umgang mit »Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus, Antifeminismus und Verschwörungserzählungen« weiterhelfen.
Erschüttert erzählten die Referentinnen und Referenten von kleinen und großen Erfolgen der extremen Rechten. Beate Küpper, Sozialpsychologin und Mitherausgeberin der »Mitte-Studie«, die vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung durchgeführt wird, sagte, die Erkenntnisse der mobilen Beratung »spiegeln sich in einem drastischen Anstieg demokratiegefährdender Einstellungen in der breiten Bevölkerung«. 8,3 Prozent teilen ein »geschlossen rechtsextremes Weltbild«, weitere 20 Prozent bewegen sich »in einem Graubereich«, zitierte Küpper aus der aktuellen »Mitte-Studie«. Vertreter demokratiefeindlicher Positionen seien selbstbewusster geworden und erreichten zunehmend »die Mitte der Gesellschaft«. Wie sich diese »Mitte« zusammensetzt, wurde nicht ausgeführt.
Dominik Schumacher, Vertreter des Bundesverbandes Mobile Beratung aus Düsseldorf, warnte: Die AfD sei erfolgreicher denn je, aber auch der »Flurschwatz« von Mitgliedern der »demokratischen Parteien« rücke klar nach rechts, extrem Rechte kauften vermehrt Immobilien – »so weit, so düster«, kommentierte Schneider den Status quo.
Drohende Dominanzzonen
Immobilienkauf und völkische Landnahme werden in dem Jahresbericht als Strategie benannt: Schon länger sei zu beobachten, dass westdeutsche Neonazis gezielt Immobilien in Ostdeutschland kaufen, vielerorts gebe es Kneipen und Gaststätten, die von Rechten betrieben werden und als Szenetreffpunkt dienen. Durch die Vernetzung bestünde die Gefahr, dass »Dominanzzonen entstehen, die für die Feinde der extremen Rechten nicht mehr begehbar« seien. Der Messengerdienst Telegram sei weiterhin die beliebteste Plattform für rechte Hetze, die Gefahr für rechtsterroristische Anschläge bleibe hoch. Positiv erwähnt wurden die Verbote der neonazistischen Organisationen »Hammerskins« und »Artgemeinschaft.« Auf rechte Strukturen bei Polizei und Justiz geht der Jahresbericht nicht ein.
Auf jW-Nachfrage problematisierte Küpper auch die Antimigrationsrethorik der Ampelregierung. »Das Signal ist, wenn das seriöse demokratische Parteien auch so meinen und sogar so sagen, dann muss ja an der Position der AfD etwas dran sein, dann kann ich auch das Original wählen«, sagte die Mitherausgeberin der »Mitte-Studie«.
»Mein Haus ist umzäunt und mit Videokameras ausgestattet«, erzählte Dorothea Schneider, Vorsitzende des Vereins »Augen auf – Zivilcourage zeigen« im sächsischen Zittau. Damit sei sie nicht alleine, viele Engagierte hätten Angst. »Die Extremismusklausel bremst unsere Arbeit total aus«, sagte Schneider auf jW-Nachfrage zu den Tücken der in Förderrichtlinien verankerten sogenannten Hufeisentheorie, die radikale Linke für genauso gefährlich hält wie extrem Rechte. Erschreckenderweise sei ihr Verein die »linkeste« Organisation, die es in der Region noch gibt. Antifastrukturen existierten nicht mehr.
Frage des Geldes
»Wenn es uns wegen mangelnder Finanzierung nicht mehr geben sollte – wäre die Kirche dann die linkeste Struktur im Ort?« fragte Schneider sarkastisch. Die mobilen Beratungsteams fordern gesicherte, mehrjährige Finanzierung ihrer Projekte und Anstrengungen der Politikerinnen und Politiker auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene, um das Feld nicht der AfD zu überlassen, an der sich der Bundesverband abarbeitet.
Die junge Welt ist eine linke, marxistisch orientierte, überregionale Tageszeitung mit einem hohen Anteil an Hintergrundberichten, umfassenden Analysen und immer mittwochs mit der Antifaschismus-Themenseite. Die Printausgabe erscheint werktäglich mit mindestens 16 Seiten, sie ist im Abonnement und am Kiosk erhältlich.
Hier kommt ihr zum Probeabo.
Zum Thema rechter Immobilienprojekte:
„Kaderschmiede“ für die AfD Rheinland-Pfalz
Veranstaltungsraum für Nazis und Völkische
Antisemit:innen und Reichsbürger:innen schaffen Erziehungszentrum