Jüdische Stimme soll schweigen

Fast 79 Jahre nach Ende der Nazidiktatur sperrt Sparkasse einem jüdischen Verein das Konto und fordert eine Liste seiner Mitglieder an

Fast 79 Jahre nach Ende der Nazidiktatur werden wieder Konten jüdischer Organisationen von deutschen Finanzinstituten gesperrt – vermutlich, um »Antisemitismus zu bekämpfen«. Klingt absurd? Willkommen in der BRD 2024!

Am Dienstag sperrte die Berliner Sparkasse ohne vorherige Rücksprache das Konto des Vereins »Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost«, vorgeblich zur Aktualisierung der Kundendaten. In einem Schreiben, das junge Welt vorliegt, teilte die Sparkasse dem Vereinsvorstand mit, die Sperrung sei »vorsorglich«, und forderte, dass zahlreiche Vereinsunterlagen bis zum 5. April eingereicht werden müssten – unter anderem eine Liste mit Namen und Anschriften aller Vereinsmitglieder.

Der Zeitpunkt der Kontosperrung wirkt indes nicht zufällig gewählt, denn die »Jüdische Stimme« hat dem von Verbotsforderungen betroffenen »Palästina-Kongress«, der vom 12. bis 14. April in Berlin stattfinden soll, ihr Konto zur Verfügung gestellt. Die Konferenz wird über Ticketverkäufe und Spenden finanziert, nun ist eine nicht unerhebliche fünfstellige Spendensumme eingefroren. Der »Palästina-Kongress« möchte öffentliches Bewusstsein für die anhaltenden Völkerrechtsbrüche des israelischen Militärs in Gaza und die Rolle Deutschlands in diesem Krieg schaffen. Die Politik versucht, den Kongress mit allen Mitteln zu boykottieren, unter dem Deckmantel des Kampfes gegen »importierten Antisemitismus«, als könne so die Geschichte des Wehrmachtsopas reingewaschen werden. CDU-Fraktionschef Dirk Stettner sagte laut Berliner Morgenpost vergangenen Donnerstag im Abgeordnetenhaus: »Ein solcher Kongress wäre eine Schande für Berlin«. Er forderte, dass »alles getan werden« müsse, um eine »Judenhasserveranstaltung« zu verhindern. Einige Tage zuvor hatte die Berliner Innensenatorin Iris Spranger (SPD) mitgeteilt, dass die Behörden den geplanten »Palästina-Kongress« im Blick hätten. Die Berliner Sicherheitsbehörden stünden dazu in engem Austausch.

»Es ist sehr außergewöhnlich, dass ohne Vorankündigung und ohne überhaupt die Unterlagen abzufragen, ein Konto gesperrt wird«, schätzte Rechtsanwalt Ahmed Abed den Fall am Mittwoch im jW-Gespräch ein. Die Mitgliederliste mit Namen und Anschriften zu verlangen sei nicht nur ohne Rechtsgrund, sondern auch moralisch für eine deutsche Bank völlig unverständlich. »Ich glaube, dass versucht wird, politisch auf die Sparkasse Einfluss zu nehmen, anders kann ich mir das nicht erklären«, so Abed.

Auf jW-Anfrage äußerte sich eine Sprecherin der Berliner Sparkasse, die nicht namentlich erwähnt werden wollte: »Zu einzelnen Kundenbeziehungen äußern wir uns auch aufgrund des Bankgeheimnisses und Datenschutzes grundsätzlich nicht«. Immerhin: Zumindest bei Presseanfragen scheint Datensicherheit noch großgeschrieben zu werden.

»Die Repressalien des deutschen Staats gegen die Palästina-Solidaritätsbewegung eskalieren täglich, sie reichen von Demoverboten bis zu Razzien, und jetzt wurde das Konto eines jüdischen Vereins im Namen der Antisemitismusbekämpfung gesperrt – von der Berliner Sparkasse, einem öffentlich-rechtlichen Finanzinstitut«, sagte Wieland Hoban, Vorstandsvorsitzender der »Jüdischen Stimme« am Mittwoch gegenüber jW. Die bedingungslose Unterstützung Israels, die zwar als moralischer Imperativ verkauft werde, aber realpolitischen Zwecken diene, führe zu einer »Entmenschlichung von Palästinensern« und einer Kriegserklärung gegen alle, die für sie Gleichheit und Freiheit forderten. »Wer meint, dadurch jüdische Sicherheit zu gewährleisten, täuscht sich gewaltig«, so Hoban.

 

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