Am 11. Oktober 2023 gab es in Nürnberg mehrere Hausdurchsuchungen. Sechs Beschuldigten wird nach §129 vorgeworfen, durch Graffiti die „Antifa zu verherrlichen“ und mit Solidaritätsbekundungen mit den Betroffenen des Antifa-Ost-Verfahrens selbst eine kriminelle Vereinigung zu sein. Dieser Kriminalisierung von antifaschischistischem Aktivismus, aber auch dem Angriff, der den Behörden durch den sogenannten Schnüffelparagraphen überdies viele Möglichkeiten bietet, stehen wir als antifaschistische Bewegung geschlossen und solidarisch entgegen. Hier findet ihr ein Interview mit dem direkt gegründeten Solikreis vor Ort und eine Sammlung an Solibotschaften nach Nürnberg.
Staatliche Einschüchterungsversuche: Razzien gegen Antifaschisten in Nürnberg nach Paragraph 129 StGB wegen Graffiti.
Ein Gespräch mit Kim Karl (erschienen in der jungen Welt am 18.10.2023)
»Dieser Plan wird nicht aufgehen«
In Nürnberg haben Ermittler am 11. Oktober zahlreiche Wohnungsdurchsuchungen bei Antifaschisten durchgeführt. Was genau ist passiert?
Am frühen Morgen verschafften sich Beamte Zutritt zu mehreren Wohnungen. Teilweise wurden Türen gewaltsam geöffnet, Menschen in ihren Betten mit gezückter Waffe überfallen und gefesselt. Die Polizei beschlagnahmte Handys, PCs und weitere Speichermedien. Neben Kleidungsstücken wurden auch Bücher und anderes Material mitgenommen, das die »linksextremistische« Einstellung der Betroffenen belegen soll.
Begründet werden die Maßnahmen mit einem Verfahren gemäß Paragraph 129 des Strafgesetzbuches. Die Oberstaatsanwaltschaft München spricht von einem Schlag gegen eine »linksextreme Vereinigung«, die sich 2022 in der Metropolregion gegründet haben soll. Sie »verherrliche die Antifa«, rufe »zur Gewalt gegen Nazis« auf. Was wird den sechs Betroffenen vorgeworfen?
Bisher sind die Vorwürfe noch sehr vage. Einem Teil wird nichts Konkretes, anderen die Teilnahme am Anbringen oder das Dokumentieren von diversen Graffiti vorgeworfen. Sie alle sollen sich einer nicht näher bezeichneten kriminellen Vereinigung angeschlossen haben, um Sachbeschädigungen zu begehen. Offensichtlich sollen auch Meinungsäußerungen zum sogenannten Antifa-Ost-Verfahren um Lina E. kriminalisiert werden. Wie für Ermittlungen nach Paragraph 129 üblich, ist alles äußerst schwammig. Was wem genau warum vorgeworfen wird, wird erst die Akteneinsicht zeigen. Die Konstruktion der »kriminellen Vereinigung« dient auch dazu, Einzelpersonen keine konkreten Taten nachweisen zu müssen.
Es hat sich noch am selben Tag Ihr »Solikreis Nürnberg« gegründet, der die Betroffenen unterstützen will und die Ermittlungen nicht unkommentiert lassen mag. Vor welchen Aufgaben stehen Sie jetzt?
Die erste Aufgabe war, Aufmerksamkeit zu erzeugen und die Presse zu informieren. Das Echo auf unsere Pressemitteilung war verhalten, lokal fand sie jedoch Beachtung. Linke Medien und Aktivisten sind interessiert, und beispielsweise in den sozialen Medien häufen sich Beiträge unter dem Schlagwort »#129Graffiti«. Wir stellen uns auf einen längeren Prozess ein, in dem die Betroffenen begleitet werden und das Thema immer wieder in die Öffentlichkeit gebracht werden muss.
Nicht nur Nürnberger Antifaschisten sind von Repression betroffen. Das »Offene Antifaschistische Treffen« im benachbarten Augsburg wurde erst vor wenigen Monaten Ziel einer Razzia, die bundesweit für Schlagzeilen gesorgt hat. Gehören die Hausdurchsuchungen zur Kriminalisierung antifaschistischer Strukturen?
Definitiv. Es ist zu vermuten, dass das verstärkte Vorgehen gegen Linke Aufrüstung und Autoritarisierung der Bundesrepublik begleitet. Das deutsche Kapital benötigt Burgfrieden, Ruhe an der Heimatfront. Rechte Kräfte sind in Bayern nicht nur auf dem Vormarsch, sondern schon lange in der Regierung.
Dagegen entsteht jedoch auch Widerstand. Zum Beispiel hatten sich anlässlich des Landtagswahlkampfs in vielen Städten Antifagruppen der Kampagne »Antifaschistische Offensive Bayern« angeschlossen. In gleich mehreren Regionen gründeten sich auch neue Gruppen. Wir denken, der Zweck der letzten Razzien ist – wie so oft – gar nicht die Ermittlung vermeintlicher Straftaten. Vielmehr geht es darum, mit Hilfe des Paragraphen 129 die linke Szene zu durchleuchten, einzuschüchtern und Menschen abzuschrecken, sich politisch zu engagieren oder sich solidarisch mit den Betroffenen zu äußern.
Und zeigt das repressive Vorgehen entsprechende Wirkung?
Dieser Plan wird nicht aufgehen. Kurz nach den Durchsuchungen hat sich beispielsweise eine neue Jugendgruppe in Nürnberg gegründet, beim Eröffnungsabend haben so viele junge, neue Leute wie lange nicht mehr teilgenommen. Der Solikreis ist bestens auch über linksradikale Kreise hinaus vernetzt und hoch motiviert. Im Idealfall schaffen wir, über die Solidaritätsarbeit in der Region und darüber hinaus sogar politisch an Land zu gewinnen!
Dieses Interview wurde am 18.10.2023 in der jungen Welt veröffentlicht.
Antifa-Stammtisch München
Kriminell sind nicht wir, sondern das System!
Heute, am Mittwoch, den 11.10., fanden in Nürnberg bei sechs Antifaschist:innen Hausdurchsuchungen statt. Gegen diese wird nach §129 – der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung – ermittelt. Grund dafür sollen antifaschistische Graffitis sein! Klar ist, dass das das zweitrangige Ziel der Repressionsorgane ist. Nicht umsonst wird §129 auch Schnüffelparagraf genannt und verwendet, auch wenn die Tatvorwürfe oft auch von Klassenjustizseite nicht ausreichend sind.
Ziel der Ermittlungen ist es Antifaschismus im gesellschaftlichen Diskurs weiter zu kriminalisieren und eine linke Bewegung zu isolieren und zu spalten. Blanker Hohn angesichts der klar rechten Landtagswahlerfolge in Hessen und hier in Bayern. Sie zeigen, dass Antifaschismus heute immer wichtiger wird.
Deswegen: wir lassen uns nicht spalten, sondern halten zusammen: gegen Rechts und für eine antikapitalistische Perspektive.
Für mehr Infos, lest die Stellungnahme!
Antifaschistisches Aktionsbündnis Stuttgart & Region
Antifa bleibt legitim. Antifa bleibt notwendig.
Wir schicken solidarische Grüße aus Stuttgart an die von der jüngsten Repression betroffenen Antifaschist:innen in Nürnberg!
Kein Strafbefehl, keine Anklageschrift, keine Hausdurchsuchung und auch kein Etikett der „kriminellen Vereinigung“ werden etwas daran ändern: Antifa bleibt legitim. Antifa bleibt notwendig. In Zeiten von Rechtsentwicklung und verschärfter staatlicher Repression gegen antifaschistische Strukturen ist es umso wichtiger, nicht mit der richtigen Haltung aber dennoch passiv zu Hause zu sitzen, sondern sich aktiv einzubringen. Ob in Stuttgart oder Nürnberg! Die Repression ins Leere laufen lassen! Die erstarkende Rechte entschlossen bekämpfen!
Rostock (anonym)
Für mehr Graffiti und weniger Bullen
In der letzten Woche fanden erneut Hausdurchsuchungen bei Antifaschist*innen statt. Zum Ziel wurden dieses Mal mehrere Nürnberger*innen, denen vorgeworfen wird, für verschiedene Graffiti verantwortlich zu sein. Diese sollen unter anderem „die Antifa verherrlichen“, zur „Verletzung von Rechtsextremisten aufrufen“ und Polizisten und Kronzeugen „verunglimpfen“.
Die Durchsuchungen reihen sich ein in eine lange Liste von Angriffen auf die antifaschistische Bewegung, welche in den letzten Jahren stattfanden. Im Antifa-Ost-Prozess wurden Genoss*innen zu hohen Haftstrafen verurteilt, weil sie angeblich gefährliche militante Neonazis angriffen. Unter anderem diesen Genoss*innen galten die solidarischen Graffiti, deren vermeintliche Urheber*innen jetzt ebenfalls vom Staat belangt werden.
Neonazis horten Waffen, verüben Anschläge, töten Menschen. Der Staat hindert sie nicht daran, im Gegenteil. Verstrickungen staatlicher Behörden, beispielsweise des Verfassungsschutzes, in rechte Umtriebe wie den NSU wurden nie aufgeklärt. Rechte Polizisten, die sich in Chatgruppen organisieren und zum Beispiel in die Drohbriefserie des NSU 2.0 verwickelt waren, erfahren keine ernstzunehmenden Konsequenzen. Soldaten und Polizisten, welche im Nordkreuznetzwerk planten, Linke zu ermorden gehen weiter ihrer Arbeit nach.
Für uns ist daher klar: Militanter Antifaschismus, Angriffe auf Neonazis, sind richtig und notwendig. Graffiti, welche „die Antifa verherrlichen“ und klarstellen, was von Bullen und Nazis zu halten ist ebenso!
In Rostock bekundeten einige Genoss*innen ihre Solidarität durch zahlreiche Tags im Stadtgebiet. Solidarischen Menschen sind außerdem die Graffiti-Videos aus Nürnberg, wie dieses zu empfehlen:
Antifa Nürnberg Graffiti-Video 2
Freiheit und Glück für alle inhaftierten und verfolgten Genoss*innen!
Kein schönes Leben für Kronzeugen und politische Verräter!
Offenes Antifaschistisches Treffen Augsburg
Solidarität nach Nürnberg und an alle Genoss:innen im Untergrund!
Stadtteilladen Zielona Góra – Berlin
Solidarische Grüße an die §129-Sprayer:innen von Nürnberg!
Soli-Mob-Foto Aktion 14.10.2023 in Berlin-Friedrichshain für §129-Razzien betroffene Antifa-Sprayer:innen in Nürnberg.
Aus Solidarität für von §129-Razzien betroffene Antifa-Sprayer:innen in Nürnberg versammelten sich am 14.10.2023 während des Soli-Abends „Zahlen nach Malen“ (Antifa-Soli wegen Repression gegen eine Berliner Sprayerin) spontan einige Besucher:innen vor dem Stadtteilladen Zielona Góra in Berlin-Friedrichshain für ein Soli-Mob-Foto mit einem Transpi mit dem Slogan „Solidarität mit den Antifas aus Nürnberg. Weg mit §129!“.
Revolutionären Zukunft Nürnberg
Solidarität mit den Betroffenen von #129Graffiti! Wir stehen zusammen!
Wo der Staat den Feind derweil verortet, dürfte uns klar sein. Doch auch diese Repression wird uns nicht brechen und unsere gut besuchte Öffnung zeigt sogar: wir können selbst von dieser Scheiße profitieren! Solidarität mit den Betroffenen von #129Graffiti! Wir stehen zusammen! Hoch die internationale Solidarität!
Perspektive Online
„Nachdem selbst bürgerliche Politiker:innen seit Sonntag wegen der Höchstwerte der AfD über eine Rechtsruck diskutieren, behindert die Staatsanwaltschaft mit Hilfe der Polizei weiterhin anti-faschistische Arbeit“
Anonym auf Indymedia
Am 11. Oktober diesen Jahres durchsuchten dutzende Staatsdiener im Auftrag der Generalstaatsanwaltschaft München zeitgleich mehrere Objekte von sechs beschuldigten Personen in Nürnberg. Den Antifaschist:innen wird die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Doch wegen welcher konkreten Straftaten? Sie sollen sich an „Graffitisprayaktionen an öffentlichen Bauwerken sowie Nahverkehrsmitteln“ beteiligt haben, wobei sie die „Antifa verherrlicht“ haben sollen.
Der Terror-Pragraph §129 wegen Graffiti – Diese Absurdität ist bedauerlicherweise nur eine erneute Zuspitzung in einer düsteren Chronologie der letzten drei Jahre, in der Antifaschismus deutschlandweit kriminalisiert und diffamiert wird. Das es den Sicherheitsbehörden mittlerweile genügt, Graffitis mit solidarischen Botschaften mit nach §129 verfolgten Antifaschist:innen als erhebliche Gefahr zu konstruieren und deshalb den Schnüffelparagraphen einzuleiten, ist allerdings eine alarmierende Verschärfung der Repression.
Klar ist: diese Ermittlungen dienen der Ausforschung antifaschistischer Zusammenhänge, sowie der Einschüchterung und Attacke auf solidarische Menschen, die sich zu handfestem Antifaschismus bekennen. Es ist wieder einmal nur ein geringfügiger Tatvorwurf, der allerdings zu weitreichenden polizeilichen Maßnahmen und aufgeblasenen Ermittlungsverfahren führt, wodurch sich die Repressionsbehörden wohl politische Stagnation und den Rückzug von engagierten Strukturen erhoffen.
Aus diesem Grund verstehen wir uns solidarisch mit den Beschuldigten aus Nürnberg, sowie allen verfolgten Antifaschist:innen! Doch Empörung als Reaktion auf Repression darf uns nicht genügen – So rufen wir dazu auf, unsere Solidarität auf „öffentlichen Bauwerken, sowie Nahverkehrsmitteln“ zu verbreiten und gemeinsam jetzt um so mehr die antifaschistische Aktion zu „verherrlichen“ ;). Lasst uns dadurch öffentlich auf die zunehmende Kriminalisierung von Antifaschismus aufmerksam machen und unsere ungebrochene Solidarität markieren.
Gerne können solidarische Graffitis unter dem Hashtag #129Graffiti öffentlich auf Social Media verbreitet werden oder an unsere E-Mail-Adresse antifagraffiti[at]riseup.net gesendet werden, wo wir sie dann im Internet posten.
(Militanter) Antifaschismus bleibt notwendig! Gerade vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Rechtsrucks in der ganzen Bundesrepublik braucht es deshalb eine offensive und solidarische Antifa, die sich nicht spalten oder isolieren lässt.
Auf allen Ebenen! Mit allen Mitteln!
P.S.: Diese klar intendierte, politisch-motivierte Verfolgung von linkem Graffiti nach §129 lässt sich übrigens durch einen aufschlussreichen Vergleich mit der Verfolgung von rechtsradikalen Graffiti beweisen. So aus dem Beschluss des BGHs von 2016 aufgrund des Zusammenschlusses mehrerer Personen zum Zwecke öffentlichkeitswirksamer ausländerfeindlicher Sachbeschädigungen:
„Die Ausrichtung einer Vereinigung auf die Begehung irgendwelcher Straftaten begründet nicht ohne weiteres eine Einstufung als kriminell i.S.d. § 129 Abs. 1 StGB. Vielmehr gebietet der Schutzzweck der Norm eine Einschränkung dahingehend, dass die Vorschrift nur anwendbar ist, wenn die begangenen und/oder geplanten Straftaten eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit bedeuten, wenn sie somit unter diesem Blickwinkel von einigem Gewicht sind. Das ist regelmäßig nicht der Fall, wenn überwiegend Sachbeschädigungen durch Aufkleber-, Plakat- und Farbsprühaktionen begangen werden, bei denen es nicht zu erheblichen Substanzbeeinträchtigungen kommt und der Inhalt der verbreiteten Parolen zumeist strafrechtlich irrelevant ist.“