„Blinde Wut“, „Chaoten“, „Krawallmacher“ – Auch zu diesem Silvester wird ordentlich Angst geschürt und Migrant:innen werden einmal mehr pauschal diffamiert. Doch dieses Jahr geschieht die rassistische Hetze der bürgerlichen Medien vor dem Hintergrund der schärfsten Angriffe auf die Rechte von Geflüchteten in der EU seit langem. – Ein Kommentar von Luis Tetteritzsch
Fast jedes Jahr kann man in den Nachrichten nach Silvester über Konfrontationen zwischen größeren Menschengruppen und dem Staat – speziell mit der Polizei – lesen. Dabei fliegen Böller und Feuerwerkskörper auf Polizist:innen, aber auch auf Krankenwagen oder Einsatzkräfte der Feuerwehr.
„Failed city“, Versagen des „Rechtsstaats“ und „migrantische Mobs“ – solche aufwiegelnden Titel waren bei der Berichterstattung über die Ausschreitungen zu Silvester besonders im letzten Jahr Normalität. Und auch dieses Jahr scheut man nicht davor zurück, rassistische Hetze zu verbreiten. So warnt Innenministerin Nancy Faeser vor “Krawallen” mit “Israelbezug”. Ohne es sagen zu müssen, entstehen im Kopf der Leser:innen durch die migrant:innenfeindliche Dauerberieselung fast automatisch Bilder von “randalierenden” migrantischen Jugendlichen.
Wut staut sich auf
Der Staat, seine Machtinstrumente und letztlich auch die Bundesregierung stehen stellvertretend für eine zutiefst arbeiter:innenfeindliche Politik, die nicht zuletzt geflüchtete Menschen tagtäglich am eigenen Leib zu spüren bekommen: sei es durch prekäre Arbeitsverhältnisse, drohende Abschiebung oder die mittlerweile zur Staatsräson geadelten rassistischen Anfeindungen.
Spontane Wutausbrüche gegen den Staat und seine Stellvertreter:innen, wie wir sie beispielsweise zu Silvester erleben können, sollten also nicht verwundern. Solche Aktionen werden aber nichts Grundlegendes an den Ursachen der Konflikte und dem dahinterstehenden System verändern, wenn sie keine andere gesellschaftliche Perspektive in Aussicht stellen.
Was wir aber nicht übersehen dürfen, ist die Instrumentalisierung dieser Ausschreitungen, um rassistische Hetze in unserer Gesellschaft anzufachen und verschiedene Teile unserer Klasse gegeneinander auszuspielen.
Rassistische Hetze passend zur Migrationspolitik
Wenn Politiker:innen wie Friedrich Merz (CDU) von „Chaoten, viele davon mit Migrationshintergrund“ oder der Städtetagspräsident Markus Lewe von „Krawallmachern“ sprechen, dann hat das wenig mit einer sachlichen Einschätzung der Lage zu tun. Hier geht es vor allem um eines: um Stimmungsmache in der Gesellschaft. Es soll ein Bild von wildgewordenen, ungezügelten und gewaltsuchenden Migrant:innen gezeichnet werden, die nur eins im Kopf haben: zerstören.
Ein solches Bild fügt sich natürlich perfekt in die rassistische Außenpolitik der deutschen Regierung ein. Mit dem vor kurzem verabschiedeten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) gab die Ampel-Regierung grünes Licht für die umfangreichsten Angriffe auf die Rechte von Geflüchteten in der gesamten EU seit langer Zeit.
Und auch der aktuelle Vernichtungskrieg Israels gegen die palästinensische Bevölkerung und der Protest dagegen werden genutzt, um irrationale Furcht und Angst in der Bevölkerung zu erzeugen. So meint Ministerin Faeser, dass die Krawalle in der Neujahrsnacht durch pro-palästinensische Demonstrationen zusätzlich angeheizt werden könnten.
Legitimierung für weitere Militarisierung
Eine Berichterstattung, die von „Chaoten“, „Krawallmachern“ oder „gottlosen Barbaren“ spricht, nutzt den herrschenden Schichten vor allem zur Rechtfertigung weiterer Angriffe auf unsere Klasse und der Militarisierung des deutschen Staats.
Hat man die gesellschaftliche Stimmung erst einmal mit genügend rassistischer Hetze gefüttert und den allgemeinen öffentlichen Diskurs weit genug nach rechts verschoben, kann man umso lauter nach autoritären Maßnahmen rufen, ohne dass es einen Funken Widerstand aus der eigenen Bevölkerung zu befürchten gibt. Die ausbleibenden Proteste gegen die GEAS-Reform zeigen sehr eindrücklich, wie diese Taktik Früchte trägt.
Berlin: Eskalationen sind vorprogrammiert
Bis zu 2.500 Berliner Polizist:innen, viel Unterstützung aus zwei weiteren Bundesländern und durch die Bundespolizei, 220 Streifenwagen, 500 Bundespolizist:innen an Bahnhöfen – so soll der „größte Polizeieinsatz an Silvester der letzten Jahrzehnte“ aussehen, wie Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik stolz berichtet. Zusätzlich fordert der FPD-Politiker und Bundesminister der Justiz, Marco Buschmann, den flächendeckenden Einsatz von Tasern.
Als Begründung für diese immense Aufstockung des Polizeiaufgebots werden zwei Gründe genannt: Zum einen habe man aus den vorherigen Jahren gelernt, zum anderen wird auch hier der Krieg in Israel und Palästina als Rechtfertigung und Legitimierung genutzt.
Laut Polizeipräsidentin Slowik werde die Einsatzlage durch die Lage in Gaza „deutlich anspruchsvoller und komplexer“ und man müsse davon ausgehen, dass diese „Emotionen auch auf der Straße ausgelebt“ würden. Wie auch nicht anders zu erwarten war, muss der Krieg in Westasien schon jetzt als Rechtfertigung für ein absurdes Polizeiaufgebot und Rufen nach mehr Befugnissen für die Polizei herhalten.
Sei es vor oder nach Silvester – für uns muss eines klar sein: Wenn von Seiten der Regierung nach einem harten Durchgreifen gegen „Randalierer“ und mehr Rechten für die Polizei gerufen oder über einen „Angriff auf unsere demokratischen Rechte“ lamentiert wird, dann ist es unsere Aufgabe, ihre Heuchelei und den subtilen Rassismus zu entlarven. Unseren Regierenden geht es nicht darum, „unsere“ Demokratie oder Sicherheit zu verteidigen. Ihnen geht es darum, so viele Teile unserer Klasse wie nur möglich hinter ihre rassistische Politik zu scharen, um letztlich weitere Angriffe auf uns alle durchzuführen und zu rechtfertigen.
“Perspektive – Zeitung für Solidarität und Widerstand” will den bürgerlichen Medien, die in ihrer vorgeblich „neutralen“ Berichterstattung immer den Status-Quo normalisieren und damit – mal bewusst und mal versehentlich – die Perspektive der Kapitalist:innen vertreten, eine Zeitung entgegenstellen, welche gezielt die Perspektive „der ArbeiterInnen, Angstellten, Frauen, Jugendlichen, Migranten und RentnerInnen“ und ihrer Widerstandskämpfe hervorhebt.
Die Genoss:innen schreiben immer wieder gut recherchierte Analysen, auch aber nicht nur über die extreme Rechte, also schaut auf jeden Fall mal vorbei!