Im September 2024 finden in Sachsen, Thüringen und Brandenburg Landtagswahlen statt. In allen drei Ländern liegt die AfD vorn. Was, wenn sie siegt? Kündigt sich damit schon der Faschismus an? Und was sind überhaupt die Voraussetzungen für seinen Sieg auf Bundesebene? – Ein Kommentar von Johann Khaldun.
Im September finden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen (jeweils am 1. September) und Brandenburg (am 22. September) statt. In allen diesen Bundesländern fährt die AfD in Umfragen potentielle Wähler:innenstimmen von mehr als 30% ein. Das neue Jahr kann allem Anschein nach also einen neuen Schritt nach vorne für das Gedeihen des Faschismus in Deutschland bedeuten.
Da sich die Parteien der regierenden Ampel-Koalition durch ihre Politik nicht besonders beliebt machen, fallen ihre Umfragewerte stetig. Keine von ihnen – weder SPD, Grüne, noch FDP – kann auf einen höheren Stimmanteil als die AfD in einer der Landtagswahlen hoffen. FDP und Grüne werden sich womöglich nicht einmal in den Landtagen halten können. Einzig die CDU kann in Sachsen vergleichbare Umfragewerte zur AfD vorweisen.
Die Ausgangslage für ein hervorragendes Ergebnis, oder gar den Sieg in einem oder mehreren der Landtage, sieht für die AfD also hervorragend aus. In jedem Fall werden die Millionen von Euro aus der Staatskasse, also letztlich aus unseren Taschen, weiterhin reichlich und sogar noch umfangreicher in faschistische Strukturen geleitet werden. Um genauer einzuschätzen, was das für uns Arbeiter:innen bedeuten kann, und wie wir diese Partei bewerten können, müssen wir etwas zurückschauen.
Wer unterstützt die AfD?
Seit Jahren schon wächst der Einfluss der faschistischen Partei. Mit ihrer Etablierung ist es nach zahlreichen weniger erfolgreichen Versuchen gelungen, der faschistischen Massenbasis eine gefestigte Parteiform zu geben.
In den Krisen, die der Kapitalismus regelmäßig erzeugt, wird die Konzentration von Kapital in den Händen von noch weniger Menschen vorangetrieben. Zuletzt hat der Ukraine-Krieg mit seinen ökonomischen Folgen und die Vertiefung der ökonomischen Krise der AfD massiven Zulauf verschafft.
Besonders die Schichten von kleinen und mittelgroßen Unternehmer:innen aber auch die ökonomisch besser gestellten Arbeiter:innen mit mehr sozialen Vorteilen fürchten sich vor dem ökonomischen und sozialen Abstieg. Verbissen klammern sie sich an ihren gesellschaftlichen Status und verteidigen ihn immer radikaler gegen vermeintliche Konkurrenten.
Es ist also entscheidend, die Entstehung und Reproduktion des Faschismus aus den inneren Krisen des Kapitalismus heraus sowie aus den Auswirkungen dieser Krisen auf die Klassen zu begreifen. Hat sich dieser urwüchsige Faschismus aber einmal eine Parteiform gegeben, dazu eine solide, krisenfeste und entwicklungsfähige Form, kann diese Bewegung auch unter die Führung bestimmter Fraktionen des Kapitals geraten.
Dies ist auch bei der Alternative für Deutschland der Fall. So sehr sogar, dass sie unter allen Parteien im Bundestag die meisten Großspenden erhält. Aber diese Unterstützung durch das Kapital ist nicht ungebrochen. So gibt es auch bedeutende Gegner wie Sigfried Russwurm, den Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Dieser warnt, dass die AfD „schädlich ist für die Zukunft unseres Landes“.
Auch diese Widersprüche innerhalb der Reihen des Kapitals haben handfeste Gründe. So ist Deutschlands Wirtschaft stark auf den Export industrieller Waren fokussiert. Solche Kapitalist:innen, die auf den Export angewiesen sind, müssen sich um eine negative politische Außenwirkung Deutschlands wie sie im Falle einer augenfälligen Faschisierung der hiesigen Politik eintritt, sorgen. Solche Kapitalist:innen dagegen, die eher auf den Binnenmarkt beschränkt sind, haben diese Sorge nicht. Sie können schon jetzt offen die AfD unterstützen.
Die kapitalistische Krise und der Aufstieg der AfD
Der Faschismus aus der Massenbasis allein hat nicht die Fähigkeit, an die Macht zu kommen. Er bedarf dafür der Unterstützung durch bedeutende Teile des Kapitals. Diese geben ihre Unterstützung im notwendigen Umfang erst dann, wenn die Krise das erfordert. Also wenn sich beispielsweise die Klassenkämpfe so sehr verschärfen, dass die Reproduktion des Kapitalismus gefährdet ist. Oder eben, wenn entscheidende Akkumulationsprozesse wie die exportorientierte Industrieproduktion in Gefahr geraten.
Obwohl wir einen Anstieg klassenkämpferischer Aktionen der Arbeiter:innenklasse seit einigen Jahren beobachten können, kann von einer systemgefährdenden Wirkung dieser Kämpfe nicht gesprochen werden. Dafür sinken jedoch die Exporte Deutschlands seit nunmehr einem Jahr schon beinahe kontinuierlich. Dieser Trend wird sich aufgrund der unsicheren Energieversorgung der Industrie auch künftig fortsetzen. Selbst wenn alternative Energiequellen zum russischen Erdgas gefunden werden, stellt sich die Frage nach dem Preis der Energieträger und damit der Konkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie.
So wie die Krise der deutschen Industrie sich verschärft, werden weite Teile der Arbeiter:innen ihre Arbeit verlieren. Die Klassenkämpfe werden sich verschärfen, während sich die Krise der Industrie vertieft. Hinzu kommt der größere imperialistische Konflikt zwischen den USA und China, zu dem sich das deutsche Kapital irgendwie verhalten muss. Die Klimakrise beschleunigt und verschärft diese Prozesse noch. Darin liegen die anhaltenden Triebfedern für ein weiteres Wachstum und eine weitere Radikalisierung der faschistischen Bewegung in Deutschland.
Aber dies sind langfristige Prozesse, die sich über Jahre hinweg entfalten werden. Noch ist ein Übergang zur faschistischen Diktatur keine Notwendigkeit für das deutsche Kapital. Die politischen und ökonomischen Kosten einer solchen Verwandlung des Staates würden seine Vorzüge überwiegen.
Kommt der Faschismus in den nächsten Jahren?
Selbst wenn die AfD die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September allesamt gewinnen würde, der weiteren Faschisierung der Partei wären doch Grenzen gesetzt. Ohne eine Krise von ausreichender Tiefe ist der Faschismus eher ein Problem als eine Lösung für das Kapital. Wir haben das zuletzt im Fall von Trumpsgesehen, dessen politischer Handlungsspielraum durch das amerikanische Kapital und seine politischen Vertreter:innen derart eingeschränkt wurde, dass es zu keinen tiefgreifenden Veränderungen kommen konnte.
Das heißt allerdings nicht, dass ein Sieg der AfD – sei es bei den kommenden Landtagswahlen oder den Bundestagswahlen 2025 – ungefährlich wäre. Vielmehr erhält der Faschismus durch die AfD damit vor allem durch den Staat die Mittel, seine Basis zu festigen, seine organisatorischen Strukturen zu stärken und seine propagandistischen Mittel wesentlich zu erweitern und zu professionalisieren.
Dazu kommt, dass der Faschismus auch in den Rängen der Altparteien wächst. Wir sehen das in barbarischen Gesetzen wie der europäischen Asylrechts-Reform GEAS, durch die flüchtende Menschen wie Verbrecher:innen behandelt werden.
Aber auch der immer offener imperialistische Ton deutscher Politiker:innen zeigt diese Tendenz. 2010 musst der Bundespräsident Horst Köhler noch zurücktreten, weil er offen zugab, dass Deutschland bei der Besatzung Afghanistans ökonomische Interessen im Sinn hatte. Heute gehören Aussagen dieser Art, bis hin zur Forderung von Abschiebungen im großen Stil durch den Kanzler, zum Alltag einer verrohten und weiter verrohenden deutschen Politik.
Das neue Jahr wird ein ertragreiches für den Faschismus werden. Dass es dabei wahrscheinlich weder in diesem noch im nächsten Jahr schon zum faschistischen Staatsumbau kommen wird, sollte uns nicht zur Entspannung verführen. Eine Verschärfung der Lebenssituation der Arbeiter:innen und Einschränkungen von Grundrechten wie der Versammlungsfreiheit oder dem Recht auf körperliche Selbstbestimmung werden auch ohne solche tiefgreifenden Veränderungen regelmäßig durchgesetzt. Dabei treiben sowohl faschistische und andere rechte Parteien als auch „liberale“ oder selbsternannte „progressive“ Parteien diese Entwicklungen voran.
Wenn wir eine erneute faschistische Herrschaft verhindern wollen, wie sie der Kapitalismus immer wieder erzeugt, müssen wir über den Kapitalismus hinaus gehen. Dafür muss es uns gelingen, eine revolutionäre Areiter:innenbewegung aufzubauen. Denn diemal wissen wir bereits, wohin es führt, wenn uns das nicht geling.
“Perspektive – Zeitung für Solidarität und Widerstand” will den bürgerlichen Medien, die in ihrer vorgeblich „neutralen“ Berichterstattung immer den Status-Quo normalisieren und damit – mal bewusst und mal versehentlich – die Perspektive der Kapitalist:innen vertreten, eine Zeitung entgegenstellen, welche gezielt die Perspektive „der ArbeiterInnen, Angstellten, Frauen, Jugendlichen, Migranten und RentnerInnen“ und ihrer Widerstandskämpfe hervorhebt.
Die Genoss:innen schreiben immer wieder gut recherchierte Analysen, auch aber nicht nur über die extreme Rechte, also schaut auf jeden Fall mal vorbei!
Seit Jahren schon wächst der Einfluss der faschistischen Partei.
Der weiteren Faschisierung der Partei wären doch Grenzen gesetzt.
Vielmehr erhält der Faschismus durch die AfD damit vor allem durch den Staat die Mittel, seine Basis zu festigen, seine organisatorischen Strukturen zu stärken und seine propagandistischen Mittel wesentlich zu erweitern und zu professionalisieren.
Der Artikel stellt nicht nur einige Einschätzung der aktuellen Erfolgschancen der „AfD“ dar, sondern ordnet sie nebenbei auch in ihrer politischen Ausprägung, ihrer Entwicklung und ihrer strategischen Rolle für die faschistische Bewegung jenseits der Partei ein.
Um sich mit der Rolle der „AfD“ inner- und außerhalb der Parlamente besser vertraut zu machen, und die Frage ob die „AfD“ denn nun faschistisch ist oder nicht, möchten wir euch gerne ein paar tiefer gehende Analysen ans Herz legen:
- Zwischen Rechtspopulismus und Faschismus – Wo steht die AfD? – Broschüre der Antifaschistischen Aktion Süd
- Wie die AfD Macht macht – Marcel Hartwig in der „analyse und kritik„
- Die AfD Marzahn-Hellersdorf und der Rechtsterrorismus – Kein Raum der AfD
Der Faschismus aus der Massenbasis allein hat nicht die Fähigkeit, an die Macht zu kommen.
Noch ist ein Übergang zur faschistischen Diktatur keine Notwendigkeit für das deutsche Kapital.
Ohne eine Krise von ausreichender Tiefe ist der Faschismus eher ein Problem als eine Lösung für das Kapital.
Hier wirft der Artikel einige fundamentale Fragen auf: Was ist überhaupt Faschismus? Was ist er als Bewegung, was ist er als Herrschaftsform? Und wie hängt er mit dem Kapitalismus zusammen? Wenn ihr euch tiefer mit diesen Fragen auseinandersetzen wollt, möchten wir euch gerne auf unsere Hintergrund-Rubrik „Faschismustheorie“ verweisen, aber auch auf folgende Artikel:
- 90 Jahre Mössinger Generalstreik gegen Hitler und Krieg – Antifaschistische Aktion Tübingen
- Neoliberalismus und extreme Rechte – Gerd Wiegel in „der rechte rand„
- “Tag der Arbeit”? – Anitfa-Info Redaktion