Frankreich: Ultrarechter Rassemblement National liegt mit prowestlichem und kapitalfreundlichem Kurs in Umfragen zur EU-Wahl klar vorn
Der Posten als künftiger Premierminister Frankreichs wurde Jordan Bardella schon versprochen. Entsprechend siegessicher gibt sich der 28jährige Spitzenkandidat der ultrarechten Partei Rassemblement National (RN). Bardella gilt als wahrscheinlicher Sieger der EU-Wahl am 9. Juni in Frankreich. Seine Liste liegt in aktuellen Umfragen mit rund 32 Prozent deutlich vorn. Für Bardella selbst ist die Wahl vor allem ein Sprungbrett für 2027: Dann will seine politische Ziehmutter Marine Le Pen zum vierten Mal bei den französischen Präsidentschaftswahlen antreten. Demoskopen zufolge hat sie diesmal gute Chancen; und im Falle eines Wahlsiegs will sie Bardella zum Regierungschef machen.
Der Sohn einer italienischstämmigen Familie trat mit 17 Jahren in Le Pens Partei ein – nach eigener Aussage, weil er von Marine Le Pen »fasziniert« war. Er stieg schnell auf und leitete bald die Jugendorganisation der Partei, die damals noch Front National hieß. Mit 23 Jahren trat er erstmals als Spitzenkandidat bei den EU-Wahlen an und gewann mit seiner Liste knapp vor der Regierungspartei von Präsident Emmanuel Macron. Vor zwei Jahren setzte sich Bardella dann bei der Wahl zum Parteivorsitzenden gegen Le Pens Expartner Louis Aliot durch.
Der Tik-Tok-affine Jungpolitiker passt mit seinem geschliffenen Auftreten perfekt zu Le Pens Strategie, die von ihrem Vater gegründete Partei zu »entteufeln«. Sie hatte sich 2015 von den antisemitischen Ausfällen Jean-Marie Le Pens distanziert, für die ihr Vater mehrfach verurteilt worden war. Seitdem verfolgt sie den Kurs, ihre Partei salonfähig zu machen. Im Mittelpunkt des RN-Wahlkampfes steht jedoch weiterhin der Kampf »gegen die Überflutung durch Migranten«. So kandidiert auf Bardellas Liste auf Platz drei Fabrice Leggeri, Exchef der EU-Grenzagentur Frontex, den Hilfsorganisationen wegen mutmaßlicher Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschheit verklagt haben. Er steht im Verdacht, während seiner Amtszeit illegale Pushbacks gegen Geflüchtete orchestriert zu haben.
Abgesehen von der Einwanderung ist das Wahlprogramm des RN vor allem »pro Startups«, »pro Wachstum«, »anti Norm« und nicht mehr wie früher »antieuropäisch«, wie Bardella selbst Ende April bei einem Treffen mit dem größten französischen Kapitalverband MEDEF resümiert hatte. Er sprach sich für einen »französischen und europäischen« Protektionismus aus und erntete dafür viel Lob von den Wirtschaftsbossen. Den Austritt Frankreichs aus der EU hat der RN aufgegeben, statt dessen ist ein »Europa der Nationen« das erklärte Ziel.
Die Partei ist auch »prowestlicher« geworden. War man noch 2022 für einen Austritt aus der NATO, hat man dieses Ziel heute aufgegeben. Bardella zeigte sich in den vergangenen Wochen auch offen für die Lieferung französischer »Scalp«-Langstreckenraketen an die Ukraine, und nach dem Tod von Alexej Nawalny Mitte Februar lobte der RN-Chef auf X »seinen Widerstand gegen das Regime« von Wladimir Putin und sprach von einer »tragischen Nachricht für alle Verteidiger der Menschenrechte und Grundfreiheiten«.
Diese Kehrtwende der Partei erklärt, warum sie sich gerade so deutlich von der AfD distanziert. Man suche jetzt statt dessen den Schulterschluss mit Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, erklärte Le Pen am Wochenende in einem Interview mit der Tageszeitung Corriere della Sera. Die beiden Politikerinnen gehören derzeit zwei verschiedenen Fraktionen im EU-Parlament an: Der RN sitzt in der rechten Fraktion »Identität und Demokratie« (ID), die zuletzt sämtliche Fraktionsmitglieder der AfD rausgeschmissen hat, während Melonis postfaschistische Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) hingegen den »Europäischen Konservativen und Reformern« (EKR) angehört, mit deren Stimmen sich Ursula von der Leyen nun eine zweite Amtszeit als Kommissionschefin sichern will.
Die Neuausrichtung des RN hat auch innenpolitische Konsequenzen. Programmatisch unterscheidet sich der RN kaum noch von den beiden anderen Rechtsparteien: den »klassischen« Konservativen Les Républicains (LR), der Schwesterpartei der CDU, und Éric Zemmours Reconquête, die sich der EKR angeschlossen hat. Beide Parteien liegen in den Umfragen bei rund sieben Prozent.
Wie der RN setzen auch LR und Reconquête vor allem auf das Thema »illegale Einwanderung«, geben sich kapitalfreundlich und proukrainisch. Um sich aus diesem rechten Sumpf herauszuheben, erklärt LR-Spitzenkandidat François-Xavier Bellamy, seine Partei spiele »keine Rolle« wie der RN, der es mit seiner neuen Haltung nicht ernst meine. Auch Marion Maréchal, Nichte von Marine Le Pen und Spitzenkandidatin von Reconquête, wirft dem RN »Unehrlichkeit« vor. Würde die Partei die Wahlen gewinnen, ändere sie nichts, so der Vorwurf aus dem Lager des Faschisten Zemmour.
Trotz der Schlammschlacht innerhalb der französischen Rechten: Die tektonischen Platten der EU-Politik sind in Bewegung geraten, wie Marine Le Pens Entscheidung, die AfD aus der ID-Fraktion auszuschließen, und von der Leyens Annäherung an Giorgia Meloni zeigen. Es wäre daher nicht überraschend, falls RN, LR und Reconquête nach den Wahlen gemeinsame Sache machen.
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