Siegesgewiss inszenierte sich die brandenburgische AfD bei ihren beiden Parteitagen Mitte März und Anfang April 2024. Landtagsfraktionschef Christoph Berndt rief den Delegierten in der Jüterboger Wiesenhalle entgegen, sein Verband werde „bei der Wahl in diesem Jahr stärkste Kraft werden und die Machtfrage stellen“.
Drei Wochen nach den Wahlterminen in Sachsen und Thüringen wird am 22. September 2024 in Brandenburg ein neuer Landtag gewählt. Tatsächlich hat die Brandenburger AfD die Aussicht, diesen Wahlgang für sich zu entscheiden. In Umfragen rangiert die Partei landesweit seit Monaten bei Werten zwischen 25 und 32 Prozent. Damit liegt sie meist unter den Zahlen, die zum jeweils gleichen Zeitpunkt für die AfD in Sachsen und Thüringen gemessen werden, führt aber die Landesumfragen vor SPD und CDU an. Bei der vergangenen Landtagswahl 2019 war die AfD mit 23,5 Prozent noch hinter der SPD gelandet, welche damals 26,2 Prozent erreichte.
Parallel zum gewachsenen Zuspruch hat sich der Landesverband ein inhaltlich immer krasseres Profil gegeben. Es gibt schon lange keine nennenswerten „gemäßigten“ Einsprengsel mehr. Die Parteispitze ist in Gänze der extremen Rechten zuzuordnen. Das nachgeordnete Personal teilt diese Positionen größtenteils oder trägt sie mit.
In Jüterbog käute Fraktionschef Berndt unter Applaus die Standards extrem rechter Ansprache wieder. In Deutschland herrsche eine „krankhafte Verachtung des Eigenen“, wogegen eine „Volksbewegung“ in Stellung zu bringen sei. Die AfD müsse intensiv mit ihrem „Vorfeld“ zusammenwirken – vom „Compact-Magazin“ über das „Institut für Staatspolitik“ (IfS) bis zu „Zukunft Heimat“. Berndt: „Wir unterwerfen uns keinem Verdammungsdiktat verfassungsfeindlicher Verfassungsschützer. Wir distanzieren uns nicht, wir halten zusammen.“
Mit Distanzlosigkeit kennt er sich aus. Die rassistische Demonstrationskampagne „Zukunft Heimat“ hatte Berndt selbst mitbegründet und von dort den Weg zur AfD gefunden. Von Anfang an holte sich „Zukunft Heimat“ Unterstützung aus dem weiter intakten Netzwerk der 2012 verbotenen militanten Neonazivereinigung „Spreelichter“. Inzwischen dient mit Martin Lang ein ehemaliger Kader dieser Gruppe als Mitarbeiter in Berndts Landtagsfraktion.
Bezüglich der „Correctiv“-Recherche zum Potsdamer Geheimtreffen im November 2023 vertritt die Brandenburger AfD eine zwar widersprüchliche, aber für sie opportune Linie. Einerseits wird beklagt, es handele sich um eine lügenhafte Kampagne, bei der unlauter Stimmung gegen die AfD gemacht werde. Andererseits bekennt sich die Partei zu den Inhalten des Treffens. „Das ist kein Geheimplan. Das ist ein Versprechen“, kommentierte der Brandenburger Bundestagsabgeordnete René Springer. Im Wahlprogramm ist dieser Punkt als Forderung nach einer „massiven Abschiebungsinitiative“ verklausuliert. Beim Parteitag unterstrich Berndt, dass seine Partei die einzige sei, „die sich der Überfremdung entgegenstellt“.
In Jüterbog zeichnete sich eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse im Landesverband ab. Über Jahre standen sich zwei Lager feindselig gegenüber. Auf einem Pol befand sich ein Machtzentrum, das sich aus dem „Flügel“-Netzwerk“ gebildet hatte. Der dort verankerte und auf eine politische Biografie im Neonazismus zurückblickende Andreas Kalbitz hielt im Landesverband lange die Strippen in der Hand, auch nachdem die Bundespartei im Jahr 2020 seine Parteimitgliedschaft annulliert hatte. Zwischenzeitlich hatte 2022 mit Birgit Bessin eine andere „Flügel“-Vertreterin den Vorsitz des Landesverbandes übernommen.
Dagegen opponierte der andere Pol, ein Netzwerk von Funktionären wie Berndt, Springer und dem Potsdamer Dennis Hohloch. 2021 hatten diese im Blog der ultra-rechten Zeitschrift „Sezession“ eine „Professionalisierung“ der Landesparteiarbeit eingefordert – keine Abkehr von Inhalten des „Flügel“, wohl aber von dessen Personal und Stil. In Jüterbog setzte sich das zweitgenannte Lager durch. Neuer Landesvorsitzender wurde Springer. Bessin versuchte erst gar nicht, ihren Posten zu verteidigen. Der Konflikt dürfte damit zumindest vorerst befriedet sein.
Bessin hatte sich indes schon im Sommer 2023 die Direktkandidatur in einem aussichtsreichen Südbrandenburger Wahlkreis gesichert, kann wahrscheinlich also wieder in den Landtag einziehen. Gesicht wahren konnte auch Bessins Weggefährte Daniel Freiherr von Lützow. Steuerhinterziehung oder seine Beteiligung an einer „Randale-Party“ in Cottbus – es dürfte mit Lützows Gebaren zu tun haben, dass andere in der AfD eine „Professionalisierung“ für nötig halten. Trotzdem wurde er nun auf Platz 4 der Landesliste gewählt und konnte seine Position als stellvertretender Landeschef halten.
Der Potsdamer Landtag ist längst zum Epizentrum der organisierten extremen Rechten im Bundesland geworden. Auch die Junge Alternative nutzt die Räume des Parlaments für sich. Sie führte etwa eine Schulung mit der „Identitären“-Aktivistin Reinhild Boßdorf durch. Im Mitarbeiterstab der Fraktion sind neben dem erwähnten Neonazi Martin Lang auch andere altgediente extrem Rechte tätig. Mitarbeiter Jörg Schröder kandidierte einst etwa für die NPD. In Potsdam arbeitet auch Erik Lehnert, Chef des „Instituts für Staatspolitik“, und der „Deutsche-Burschenschaft“-Sprecher Jan-Hendrik Klaps. „Identitären“-Anwalt Gerhard Vierfuß ist von Oldenburg nach Potsdam gezogen, arbeitet in der Fraktion und tritt nun auch bei den Landtagswahlen an.
Die Brandenburger AfD rekrutiert inzwischen aber auch Nachwuchskräfte. Im Zuge der flüchtlingsfeindlichen Proteste ab 2015 hatte der damalige Schüler Jean-Pascal Hohm entsprechende Demonstrationen in seinem Heimatort Zossen mitorganisiert. Protegiert vom damaligen Landesvorsitzenden Andreas Kalbitz wurde er Mitgründer der „Jungen Alternative“ und politisierte sich bei „Identitären“-Aktionen, Delegationsreisen zu neofaschistischen Gruppen in Italien oder bei Seminaren im „Institut für Staatspolitik“. Bei einem Corona-Protest in Cottbus, wo Hohm mittlerweile als AfD-Kreischef amtiert, stellte er einen Block mit vermummten Neonazis an die Spitze des Aufzugs und gab diesem per Megafon die Parolen vor. Nun geht es für ihn Richtung Plenarsaal: Als Direktkandidat in einem Cottbuser Wahlkreis und zusätzlich abgesichert über den Listenplatz 9 dürfte Hohm der Einzug in den Landtag gelingen.
Zur Rhetorik der brandenburgischen AfD gehören scharfe Angriffe gegen andere Parteien. Der Abgeordnete Lars Hünich versprach Anfang des Jahres, den „Parteienstaat“ gänzlich abschaffen zu wollen. Auch die CDU bekommt ihr Fett weg. Hannes Gnauck, Brandenburger Bundestagsmitglied und „Junge-Alternative“-Bundeschef, beschimpfte die Konservativen unlängst als „Vaterlandsverräter“. CDU-Fraktionschef Jan Redmann versprach dessen ungeachtet, künftig gerne an Podiumsdiskussionen mit AfD-Leuten teilzunehmen, um diese „inhaltlich zu stellen“. AfD-seitig wurde die Ankündigung nicht ganz zu Unrecht als Schwenk weg von der Abgrenzung zu ihrer Partei begrüßt. In der Tiefe der brandenburgischen Kommunalpolitik ist es mit der Grenzziehung zwischen AfD und CDU, aber auch freien Wählergruppen und anderen Kräften ohnehin nicht weit her. Eine Regierung zusammen mit der AfD dürfte dennoch und trotz zu unterstellender Skrupellosigkeit auf Seiten der CDU kein Wunschszenario für die Konservativen sein. Allerdings wird eine Regierungsfindung ohne AfD angesichts deren Stärke schwieriger. Die Umfragelage im April versprach immerhin seit Monaten das erste Mal, dass die schwarz-rot-grüne Koalition weitergeführt werden könnte, auch wenn die AfD auf dem ersten Platz landen sollte.
Sicher ist ein AfD-Wahlsieg trotz der Kraftmeierei ihrer Funktionäre ohnehin nicht. Erinnert sei an 2019, als einige Wochen vor der Wahl die AfD in Umfragen vorne lag und doch noch überholt wurde. Eine schwer zu kalkulierende Variable ist derzeit außerdem die Wagenknecht-Partei, die laut den Umfragen in Brandenburg auf etwa zehn Prozent der Stimmen hoffen kann, de facto aber kaum über Strukturen verfügt.
Die bundesweiten Gegen-Rechts-Demonstrationen nach Veröffentlichung der Correctiv-Recherche erfassten derweil auch das Land Brandenburg. Sie wurden von Beginn an von einem breiten Spektrum der Landesöffentlichkeit getragen und haben in nicht wenigen Orten eine dezidiert antifaschistische Komponente. Erstmals seit langem scheint eine Ent-Normalisierung der AfD wieder ansatzweise greifbar. Es wird in den nächsten Monaten Kernaufgabe antifaschistischer Basispolitik sein, die Energie aus der Protestwelle bis zum Wahltermin zu nutzen. Und es gilt, sich für die Zukunft zu wappnen. Eine gestärkte AfD wird jede Möglichkeit nutzen, ihre extrem rechte Agenda durchzusetzen.
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