Oury Jalloh – Das war Mord

Vor genau 18 Jahren wurde Oury Jalloh in einer Gefängniszelle in Dessau ermordet und verbrannt. Obwohl er gefesselt auf einer Matratze lag, soll er diese laut der Darstellung von Polizei & Justiz selbst angezündet haben und daran gestorben sein.

Der grausame Mord an Oury Jalloh ist zum Symbol für den systematischen und institutionellen Rassismus in den deutschen Behörden geworden. Und das nicht nur durch den Mord, der offensichtlich aus rassistischen Motiven durch Bullen verübt wurde. Vom Korpsgeist der Bullen untereinander, über die Kriminalisierung des Opfers um die Täter:innen zu entlasten, dem Desinteresse von Justiz und Parlamenten die Täter:innen zur Rechenschaft zu ziehen, bis hin zur Kriminalisierung der Solidaritätsbewegung: In diesem Staat können Cops Migrant:innen und geflüchtete Menschen ermorden und kommen nicht nur davon, sondern werden geschützt.

Kurze Chronologie der „Ermittlungen“

Schon der gesamte Polizeieinsatz – von zuvor nicht angedrohter körperlicher Gewalt, über die Ingewahrsamnahme an sich und Blutabnehmen ohne richterlichen Beschluss, bis hin zum Fesseln auf der Matratze – war sogar nach den Gesetzen in diesem Staat rechtswidrig. Die Justiz war lange von der absurden These des Suizids ausgegangen. Ein Feuerzeug, das als Beweis dafür dienen sollte, dass Oury Jalloh sich selbst angezündet haben soll, wurde erst Tage später am Tatort gefunden, obwohl Oury Jalloh vor seiner Inhaftierung durchsucht wurde. Am Feuerzeug wurde nur DNA gefunden, welche nicht von Oury Jalloh stammte, und ausschließlich Fasern, welche nicht vom Tatort stammen konnten. Als die Dessauer Staatsanwaltschaft 2017 die Selbstendzündungshypothese aufgab und den Standpunkt vertrat, Oury sei zum Zeitpunkt der Entzündung „mindestens handlungsunfähig oder sogar schon tot“ gewesen und vor der Entzündung mit Brandbeschleuniger besprüht worden, wurde ihr der Fall abgenommen. Der Fall wurde stattdessen der Staatsanwaltschaft Halle übergeben, die ihn prompt einstellte. 2019 legte die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh ein medizinisches Gutachten vor, das belegte, dass Jalloh kurz vor seinem Tod schwer am Schädel verletzt wurde.1https://www.antifainfoblatt.de/artikel/oury-jalloh-unter-den-tod-im-polizeigewahrsam-soll-ein-schlussstrich-gezogen-werden2https://taz.de/Aufarbeitung-des-Falls-Oury-Jalloh/!5710603/ 3https://www.rnd.de/panorama/dessau-fall-oury-jalloh-massnahmen-der-polizei-rechtswidrig-FLPHFJGRV5FP255FBQQPYMB2SE.html4https://initiativeouryjalloh.wordpress.com/2019/10/28/neues-forensisch-radiologisches-gutachten-im-fall-oury-jalloh-pressemitteilung-initiative-in-gedenken-an-oury-jalloh-vom-28-10-2019/5https://www.youtube.com/watch?v=WlqKzcPz5yo

Das Feuerzeug, mit dem Oury Jalloh sich angeblich selbst entzündet haben soll, ist zum Symbol der Lüge geworden.

Ausführliche Chronologien gibt es als PDF oder im Pressespielegel auf der Website der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh.

Kriminalisierung als Selbstschutz

Doch anstelle das Versagen der Behörden aufzuarbeiten und den Hinweisen die klar auf einen Mord durch Polizeibeamte deuten zu folgen, werden sowohl das Opfer als auch die Stimmen nach Aufklärung kriminalisiert.

Während Oury Jalloh als Kleinkrimineller dargestellt wurde, als würde das einen Mord an ihm rechtfertigen, wurden, nach einem Hinweis auf mögliche Tatverdächtige, diese nicht einmal vernommen. Stattdessen wurde die Wohnung des Informanten durchsucht, der auf diese Tatverdächtigen hingewiesen hatte, und dessen Datenträger beschlagnahmt. 6https://linksunten.indymedia.org/de/system/files/data/2016/08/1720465872.pdf Anstatt die Täter:innen in den eigenen Reihen zu ermitteln, legte die Polizei illegale Dossiers über regelmäßige Teilnehmer:innen an Veranstaltungen der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh an. 7https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/artikel/268200.privatsph%C3%A4re-ausspioniert.html8https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/artikel/268410.jalloh-aktivisten-im-visier.html Immer wieder wurden Vorwände, wie die Parole „Oury Jalloh – das war Mord!“, gefunden, um Aktivist:innen, die Aufklärung in dem Fall fordern, zu schikanieren. Demonstrationen wurden angegriffen, Material wurde entwendet, Demo-Teilnehmer:innen wurden verprügelt oder angezeigt und verurteilt. Einem Mitbegründer der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh wurde die Lizenz um seinen Laden betreiben zu können und damit seine Existenzgrundlage entzogen.9https://linksunten.archive.indymedia.org/node/100777/index.html10https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/artikel/267320.mit-eifer-verfolgt.html11https://rote-hilfe.de/rote-hilfe-zeitung/heftarchiv?download=181:rote-hilfe-zeitung-1-2018 Seite 37-3912https://initiativeouryjalloh.wordpress.com/category/repression/

Solidarische Prozessbegleitung –  ein Aktivist wurde wegen „versuchter gefährliche Körperverletzung“ verurteilt. Er soll Polizist:innen leere Feuerzeuge vor die Füße geworfen haben.

Keine Einzelfälle – Rassismus, Polizeigewalt und Vertuschung haben System

Schon Jahre zuvor gab es weitere Todesfälle im Kontext des selben Polizeireviers. Hans-Jürgen Rose wurde 1997 kurz nach seiner Entlassung aus der Ausnüchterungszelle wenige Meter vom Polizeirevier entfernt von Passant:innen gefunden, die ihm einen Krankenwagen riefen. Er verstarb im Krankenhaus an inneren Verletzungen. Der obdachlose Mario Bichtemann starb 2002 in der selben Zelle wie später Oury Jalloh, unter Aufsicht des selben Dienststellenleiters.13https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/artikel/288332.die-toten-von-dessau.html14https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/artikel/258981.stumpfe-gewalt.html

Gerade erst im vergangenen Jahr mussten wir in ganz Deutschland immer wieder hören, dass die Polizei tötet, und zwar in überwältigender Mehrheit Menschen die als migrantisch wahrgenommen werden, Menschen mit psychischen Krankheiten oder in psychischen Ausnahmesituationen und Menschen ohne Obdach.

Es handelt sich bei dem Polizeirevier in Dessau nicht um ein einzelnes „Horror-Revier“ in einem Meer aus Freund:innen und Helfer:innen. Rassistische Polizeigewalt hat in Deutschland System. In Deutschland wurden mindestens 180 als migrantisch wahrgenommene Menschen seit 1989 ermordet. 15https://www.migrationsrat.de/moerderischer-rassismus-in-deutschland-ueber-180-menschen-wurden-seit-1990-durch-gewahrsam-oder-polizei-getoetet/

Institutioneller Rassismus und rassistische Polizeigewalt sind Resultat eines Systems, von dem Rassismus zentraler Bestandteil ist. Rassismus erfüllt im Kapitalismus die Funktion unsere Klasse zu spalten und gegeneinander aufzuhetzen. Rassismus legitimiert die verstärkte Ausbeutung von Teilen der lohnabhängigen Klasse, imperialistische Ausbeutung unterdrückter Nationen und Grenzpolitik die für Geflüchtete tödlich ist. Rassismus ist zentraler Bestandteil von Institutionen wie der Polizei, die dieses System mit Gewalt aufrecht erhalten sollen. Fest im System und seinen Behörden verankerter Rassismus führt im schlimmsten Fall dazu, dass Migrant:innen von Cops ermordet werden – wie bei Oury Jalloh.

Demonstration im Gedenken an Oury Jalloh 2019

Rassismus spaltet – Für einen Klassenbewussten Antirassismus!

Um dem Morden und Lügen ein Ende zu bereiten, müssen wir die Materielle Grundlage des Rassismus verstehen und an seiner Wurzel bekämpfen. Wir müssen uns gemeinsam gegen Rassismus organisieren und ihn sowohl ideologisch als auch praktisch bekämpfen.

Ideologisch gegen Rassismus zu kämpfen bedeutet, seine Funktion der Spaltung und Aufhetzung unserer Klasse gegeneinander zu entlarven, die Rassismus gerade auch im Faschismus erfüllt. Im Faschismus spielt Rassismus fast immer eine entscheidende Rolle, um von den wahren Ursachen gesellschaftlicher Probleme auf Sündenböcke abzulenken. Die Lohnabhängigen werden gegeneinander aufgehetzt, um zu verhindern, dass sie vereint für ihre Interessen einstehen. Der Antirassistische Kampf ist ein Kampf, der nicht auf die Angelegenheit derjenigen reduziert werden darf, die von Rassismus betroffen sind, sondern eine Angelegenheit von allen Lohnabhängigen.

Rassismus praktisch zu bekämpfen bedeutet, gegen Rassismus und rassistische Übergriffe auf die Straße zu gehen, Selbstschutz praktisch zu organisieren. Niemand darf alleine sein, kein Angriff darf unbeantwortet bleiben, im Idealfall wird er abgewehrt.

Im Fall Oury Jalloh’s heißt das: nicht locker lassen. Weiter die Wut über den rassistischen Mord durch die Polizei auf die Straße tragen und die Forderung nach Gerechtigkeit und Aufklärung nicht verstummen lassen, bis sie erfüllt ist.

Wir schließen uns dem Kampf um Gerechtigkeit im Mord an Oury Jalloh an und lassen nicht zu, dass er in Vergessenheit gerät. Denn Erinnern heißt auch kämpfen!

Gerechtigkeit für Oury Jalloh!

Demonstration im Gedenken an Oury Jalloh 2019

Demonstrationen:

Freiburg:

München:


Weiterlesen/hören:

Initiative in Gedenken an Oury Jalloh:
https://initiativeouryjalloh.wordpress.com/

Podcast des WDR: Oury Jalloh und die Toten des Polizeireviers Dessau:
https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/tiefenblick/polizei-dessau-oury-jalloh-deutsch-100.html