Eda Deniz Haydaroglu vom “Komitee – Weg mit den Paragraphen 129 A&B” ist am 18.03.2023 in einen unbefristeten Hungerstreik gegen die Paragraphen 129a und 129b und für die Freiheit von antifaschistischen und revolutionären Gefangenen getreten. – Perspektive Online hat bei einer Kundgebung mit Eda und dem Komitee gesprochen.
Warum seid ihr heute hier?
Wir sind heute hier, um auf die Paragraphen 129 a und b des Strafgesetzbuchs und auf die Verhaftung von Özgül Emre, Ihsan Cibelik, Serkan Küpeli und Hasan Unutan aufmerksam zu machen.
Was sind eure Forderungen?
Unsere erste und wichtigste Forderung ist, dass die Untersuchungshaft gegen diese vier Gefangenen beendet wird. Außerdem, dass digitale Dateien bei diesem politischen Gerichtsverfahren und auch bei anderen Verfahren generell nicht genutzt werden. Wir fordern auch, dass die Berichte des Verfassungsschutzes nicht als Beweismittel genutzt werden.
Wir sagen: weder digitale Dateien noch die Berichte des Verfassungsschutzes sind legitime Beweismittel. Zum einen sind digitale Dateien in ihrem Grundwesen jeglicher Form von Abänderung, Neuverfassung, Löschung etc. ausgesetzt. Die Berichte des Verfassungsschutzes über Antifaschist:innen sind nicht legitim und dürfen nicht als Beweismittel bei politischen Verfahren benutzt werden, zumal zu befürchten ist, dass auch Faschist:innen an diesen Berichten mitarbeiten.
Wir fordern außerdem Aufklärung darüber, warum der Generalbundesanwalt, Peter Frank, nachdem er den Haftbefehl gegen die ersten drei türkeistämmigen Antifaschist:innen Özgül Emre, Ihsan Cibelik, Serkan Küpeli angeordnet hat, unmittelbar danach in die Türkei gereist ist. Dort hat er sich mit dem Präsidenten Erdogan und später auch mit seinem Amtskollegen getroffen. Ihm wurde von der türkischen Regierung ein Orden verliehen und er hat laut Medien auch eine neue Namensliste ausgehändigt bekommen. Darüber fordern wir Aufklärung. Warum unternimmt der Generalbundesanwalt Deutschlands diese Reise?
Generell fordern wir aber auch die Abschaffung der Paragraphen 129 a und b und die Freilassung aller antifaschistischen und revolutionären Gefangenen. Eine weitere Forderung betrifft das Recht auf politisches Asyl. Es gibt in Deutschland immer wieder Menschen, die aus politischen Gründen hierher fliehen. Immer wieder wird diesen Geflüchteten – wiederum aus politischen Gründen – das Asylrecht verwehrt oder das Aufenthaltsrecht nachträglich entzogen. In Düsseldorf gibt es zu dieser Forderung einen Widerstandsrat. Seit über fünf Jahren leisten die Mitglieder dieses Rats Widerstand mit dem Ziel, dass sie ihr Aufenthaltsrecht wiedererlangen.
Du hast das bereits angesprochen, aber was genau sind die Paragraphen 129 a und b, was ist die Praxis ihrer Anwendung und ihrer Geschichte?
Wir setzen als Bündnis mit der Geschichte des Paragraphen 129 vor 200 Jahren an. Wir sagen, diesen Paragraphen gibt es schon sehr lange. Der Name verändert sich zwar immer wieder, aber vom Inhalt her ist es immer dasselbe: Wer sich gegen die aktuelle Staatsform richtet, wird dafür bestraft. Der Paragraph 129 ist ein Gesinnungsparagraph. Wir werden heute dafür bestraft, weil wir an Kundgebungen, Demonstrationen oder Konzerten teilnehmen. Er dient als Instrument, um den antifaschistischen und antiimperialistischen Kampf zu attackieren.
In der Praxis wird er dann auch entsprechend angewendet. Er öffnet Tür und Tor für jegliche Willkür, sei es beispielsweise, wenn Untersuchungshaft angeordnet wird. Normalerweise gilt ja die Regel: sechs Monate Untersuchungshaft. Bei dem Paragraphen 129 kann diese Haft bis zu 18 Monate dauern. Das ist zwar geschriebenes Gesetz, aber es ist aus unserer Sicht nicht „legal” im Sinne von “gerecht”, sondern vielmehr „legales Unrecht”. Deswegen kämpfen wir gegen diesen Paragraphen. Dieser Kampf sollte ein Anliegen für jede Antifaschist:in und Demokrat:in hier in Deutschland sein. Durch den Paragraphen 129 werden Menschen schon alleine dafür bestraft, an Kundgebungen teilgenommen zu haben.
Eines der wichtigsten Kriterien der bürgerlichen Demokratie ist ja die Gewaltenteilung. Aber Paragraph 129 b vor allem ist wirklich ein Angriff genau auf diese Gewaltenteilung, weil der Bundesminister, das Bundesjustizministerium und der Innenminister entscheiden, über wen ein Verfahren angewendet wird und über wen nicht. Deswegen können wir wirklich sagen: Diese ganzen Verfahren sind “politische Verfahren”.
Was wird denn den Verhafteten vorgeworfen? Wie bewertet ihr das?
Der Vorwurf ist die Mitgliedschaft oder frühere Mitgliedschaft bei einer terroristischen ausländischen Organisation, in dem Fall namentlich die DHKP-C aus der Türkei. Dieser Vorwurf ist im Wesentlichen eine Vermutung und gründet sich auf der häufigen Teilnahme und Organisation von Kundgebungen und Konzerten sowie auf digitale Dateien. Das war’s!
Das heißt, man sagt zum Beispiel: Jemand hat 106 Kundgebungen in Mannheim organisiert. Alle haben irgendwie eine Verbindung mit dem türkischen Antifaschismus, es gibt Verbindung mit der politischen Band Grup Yorum oder mit Märtyrern, die im Kampf gegen den Faschismus gefallen sind. Deswegen könnte man ein Mitglied dieser oder jener Organisation sein. Bloße Vermutungen dieser Art reichen bereits. Die Teilnahme und die Organisation von Kundgebungen reichen aus, um jemandem eine Mitgliedschaft bei einer terroristischen Vereinigung vorzuwerfen.
Wie stehen die Beziehungen der Bundesregierung mit dem türkischen Staat in Zusammenhang mit den aktuellen Verhaftungen?
Ich habe ja hier über den Generalbundesanwalt schon etwas gesagt. Der Generalbundesanwalt ist ungefähr acht Wochen nach der Verhaftung in die Türkei gereist und hat dort einen Orden verliehen bekommen. Daran können wir noch mal ganz genau sehen: Die Verhaftung von Oppositionellen, die aus der Türkei stammen, hängt auf jeden Fall mit den politischen Interessen der beiden Regierungen Deutschlands und der Türkei zusammen.
Wir gehen davon aus, dass bei den Gesprächen, die der Generalbundesanwalt geführt hat, höchstwahrscheinlich über die Verhandlung und die Verhaftung von Oppositionellen geredet wurde. Infolgedessen ist dann auch wahrscheinlich die Verhaftung von Hasan Unutan im Februar dieses Jahres gefolgt. Deswegen sagen wir: Diese ganzen Verhaftungen und generell Verhaftungen von Oppositionellen aus der Türkei sind politische Verfahren, und die Verhafteten sind damit politische Gefangene. Denn dahinter stehen politisch getroffene Entscheidungen – direkt vom Bundesministerium getroffen. Diese Verhaftungen haben auf jeden Fall auch mit den gemeinsamen politischen Interessen zwischen der BRD und der Türkei zu tun.