Widerständig bleiben: Freispruch in Berufung

Am 09. September 2021 fand in Durlach eine Veranstaltung der AfD mit Beatrix von Storch statt.

Der Gegenprotest war damals mit der Begründung von „Auflagenverstößen“ durch die Polizei angegriffen worden. Über zehn Verfahren waren die Folge, viele davon unter dem Vorwurf des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Zur Begleitung der Prozesse riefen wir die Kampagne „Widerständig bleiben“ ins Leben.

Andere Angeklagte wurden zu vier Monaten Haft auf drei Jahre Bewährung, beziehungsweise zu einem Jahr und sechs Monaten Haft auf drei Jahre Bewährung verurteilt, ein Genosse erhielt nach Jugendstrafrecht 150 Arbeitsstunden. Vier andere wurden allerdings auch freigesprochen.

Der Vorwurf, der heute nach eingelegter Berufung zum zweiten mal verhandelt wurde, war einen Bullenknüppel („Räum- und Abdrängstock“), mit dem der Angeklagte angeblich geschoben oder geschlagen worden sein soll, festgehalten zu haben und versucht zu haben, ihn an sich zu bringen.

In erster Instanz am Amtsgericht war dafür eine Strafe in Höhe von 100 Tagessätzen zu je 10€ verhängt worden.

Zum Berufungsprozess erschienen neben dem Angeklagten 19 Genoss:innen zur solidarischen Prozessbegleitung. Einlasskontrollen gab es, diese waren aber nicht sehr gründlich und offenbar symbolischer Natur.

Die Richterin stellte, kaum dass sie eingetroffen war, fest, dass die Unterstellung, der Angeklagte habe den Stock an sich bringen wollen, unrealistisch, und auch deshalb die Strafe viel zu hoch angesetzt sei. Die Staatsanwaltschaft stimmte dem zu und empfahl, die Berufung auf das Strafmaß zu beschränken.

Die Verteidigung lehnte dies ab, wies darauf hin dass sowohl die Identifizierung des Angeklagten unzureichend, als auch die Legitimation der polizeiliche Maßnahme fragwürdig sei, und man deswegen die Sache als solche verhandeln wolle. Einer vom Gericht vorgeschlagenen Einstellung wiederum wollte die Staatsanwaltschaft nicht zustimmen. Dieses peinliche hin und her wiederholte sich noch ein oder zwei mal im Laufe des Verfahrens.

„Naja, die Haare sind jetzt Kürzer aber der Ansatz könnte stimmen…“

„Kann jemand den Laptop mit dem Fernseher verbinden? … Gut, dann schauen wir eben gemeinsam am Laptop das Video an.“

„Wir hatten Anweisung, die Teilnehmer in die Versammlungsfläche zurück zu drängen. … Nein also wo Versammlungsfläche war und wo nicht weiß ich jetzt auch nicht mehr.“

„Also den Vermerk zu Identifizierung hab ich erst im Februar 2022 geschrieben. … Also wenn schon im September 2021 der Name des Angeklagten vorkommt hatte ich ihn vielleicht schon identifiziert, aber den Vermerk erst geschrieben als ich die Zeit dazu gefunden habe?“

„Also ich habe den Angeklagten schon mal gesehen, als er noch lange Haare hatte, von weitem bei Veranstaltungen. … Ja ich erkenne ihn trotz Mundnasenschutz an Augen und Stirnpartie.“

Es wird debattiert, ob man nicht doch für weitere Maßnahmen zur Identifizierung das Verfahren verschieben will… oder doch Einstellen? Oder doch die Berufung beschränken?

Man entschließt doch das ganze zu Ende zu bringen. Die Plädoyers der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft sagen praktisch das Gegenteil von einander aus, nur dass man schon am Tonfall des Staatsanwalts merkt, dass er selbst nicht wirklich davon überzeugt ist dass die „Anklage vollumfänglich bestätigt“ sei. Außerdem gäbe es aus Sicht der Staatsanwaltschaft keinen Grund, weshalb der Staatsschutz behaupten würde sich in der Sache sicher zu sein, wenn er es nicht wäre.

Der Angeklagte verlas folgende Erklärung:

Liebe Genoss:innen,

vor relativ genau einem Jahr stand ich im gleichen Verfahren in erster Instanz vor dem Amtsgericht in Durlach.

In meiner damaligen Erklärung habe ich die Krise, von Corona über Teuerung bis Krieg, die die AfD in ihrer Kampagne „Deutschland, aber normal“ meintet beheben zu können, in den Kontext des Kapitalismus auf imperialistischer Stufe gesetzt.

Damals ging es mir hauptsächlich darum, die AfD und ihre vermeintlichen, Systemkonformen Krisenlösungen, zu entlarven. Diese Erklärung könnt ihr immer noch auf der Website des OATs nachlesen.

Nach meiner Verurteilung in erster Instanz, möchte ich nun mehr auf die Rolle der Polizei und Justiz eingehen.

Denn zumindest formell ist was mir hier vorgeworfen wird ja nicht Widerstand gegen den Rechtsruck, am 09.09.21 in Durlach manifestiert in der AfD-Veranstaltung mit Beatrix von Storch; sondern einen Knüppel festgehalten zu haben, mit dem man eine Person die ich sein soll – hinter mir ist man vielleicht der Auffassung da sei geschoben worden, für mich sieht das Video anders aus – geschlagen hat.

Nun hat mein Anwalt bereits in Frage gestellt, was denn eine solche Gewalt gegen die Person, die ich sein soll, gerechtfertigt haben könnte. Und hier stellt sich ja die spannende Frage: wenn doch die „Maßnahme“ der Polizei zweifelhaft ist, warum wird dann nicht die Polizistin wegen Körperverletzung im Amt verfolgt? Warum die Person die ich sein soll nicht etwa versucht hätte sie anzuzeigen, (was gar nicht nötig sein sollte,) erklären schon die Statistiken. Weniger als zwei Prozent der Fälle von Polizeigewalt kommen vor Gericht, weniger als 1 Prozent enden mit einer Verurteilung. Das liegt nicht nur daran dass betroffene wissen, dass eine Anzeige Aussichtslos ist.

Die Staatsanwaltschaft geht, (schon aus Bequemlichkeit ihres Berufs,) grundsätzlich von der Unschuld und Ehrlichkeit der Polizei aus. Dass die Pause genutzt wird um die Beziehung zum Staatsschutz zu pflegen, ist ja auch ganz natürlich. Ich bin im Glauben an „Aussage gegen Aussage“ und „im zweifel für den Angeklagten“ aufgewachsen, und durfte gleich bei der ersten Verhandlung bei der ich Zuschauerraum saß die Staatsanwaltschaft (in Person von Herrn Graulich) sagen hören „der Zeuge ist Polizist und damit besonders vertrauenswürdig“.

Und die sogenannte „Maßnahme“ mal dahin gestellt: Die meisten, eigentlich alle, mit denen ich über dieses Verfahren gesprochen habe, erwiderten so etwas wie „häh, muss man sich denn schlagen lassen?“

Ein intuitives Rechtsverständnis leitet sie zu der Auffassung, sich selbst vor Verletzung zu schützen könne ja wohl keine Strafe zur Folge haben, das sei ja ein natürlicher Instinkt.

Tatsächlich gibt es in Deutschland Rechte, die genau so argumentiert werden: die Flucht aus dem Gefängnis beispielsweise ist straffrei, was eben mit dem „natürlichen Drang nach Freiheit“ argumentiert wird.

Eine solche Argumentation müsste, in Kombination mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit, Artikel 2 Absatz 2 Grundgesetz, doch zumindest zu einem Recht führen, die unmittelbare Verletzung des eigenen Körpers abzuwenden.

Gerade die Verschärfungen, die die Paragraphen 113 und 114 StGB, also Widerstand und tätlicher Angriff, 2017 erfahren haben, sprechen eine andere Sprache. Seither wird nicht nur beispielsweise das einfache losreißen als Widerstand gewertet, gerne wird sogar noch versucht den Schmerz an den Fingerkuppen durch die entwundene Jacke als tätlichen Angriff auszulegen.

Und so ist spätestens, wenn man versucht gegen Polizeigewalt juristisch vorzugehen, mit einer Gegenklage zu rechnen. Wenn eine solche Klage nicht schon im Voraus kommt, um das Verhalten der Polizei auf einer öffentlichen Versammlung nachträglich durch die Kriminalisierung der Demonstrant:innen zu rechtfertigen.

Was ist die hochgelobte Gewaltenteilung des bürgerlichen Staates wert? Wer mit der Polizei in Konflikt gerät ist laut Legislative automatisch im Unrecht, und die Judikative stellt sicher dass sie auch wirklich mit allem durchkommt.

Was gerade die Karlsruher Staatsanwaltschaft, (insbesondere Herr Graulich,) von den angeblich so hoch geschätzten demokratischen Werten und Rechten hält, sieht man aktuell unmissverständlich beim Angriff auf die Pressefreiheit von Radio Dreyeckland!

Nach einer Kurzmeldung, die auf das eingestellte Verfahren wegen „Gründung einer kriminellen Vereinigung“ gegen Linksunten Indymedia hinwies, wurden die Räume von Radio Dreyeckland und die Wohnung des Verantwortlichen im Sinne des Presserechts durchsucht, und der Verfasser der Meldung wurde dessen angeklagt, diese verbotene Vereinigung (denn verboten ist Linksunten, nur nicht kriminell nach §129) durch die Verlinkung zu unterstützen. Sowohl die Anklage gegen Linksunten, als nun auch die gegen den Redakteur von RDL, wurden von Staatsanwalt Graulich hier aus Karlsruhe erhoben.

Nachdem erst letzte Woche das Landgericht die Klage gegen den Redakteur abgewiesen hat, hat Graulich erst vorgestern dagegen Beschwerde eingelegt.

Der Geschäftsführer von RDL bewertet die Situation wie folgt:

„Die Staatsanwaltschaft will per Strafrecht ihre anti-linke Agenda durchsetzen. Der fortgesetzte Versuch in die Berichterstattung einzugreifen kann politisch nur eine Konsequenz haben, nämlich die Auflösung der Staatsschutzabteilung der Karlsruher Staatsanwaltschaft.“

Wie oben schon erläutert, mache ich mir in diesem Hinblick allerdings keine Hoffnungen. Die „anti-linke Agenda“ ist eben leider nicht kein Phänomen, dass sich auf eine Abteilung einer lokale Staatsanwaltschaft beschränkt.

Und all das ist ja noch die bürgerliche Argumentation. Was ich dem Staat, insbesondere hier der Staatsanwaltschaft vorwerfe, ist ja der Bruch ihrer eigenen Prinzipien, ihrer eigenen Ideologie der liberalen Demokratie, mit der Auffassung von Freiheit und Recht, nach der alle Menschen gleich vor dem Gesetz sind, wenn „einem Obdachlosen und einem Millionär gleichermaßen verboten wird, auf einer Parkbank zu schlafen.“

Dass ich, dass wir, von diesem Begriff von Freiheit und Gerechtigkeit nichts halten, das ist ja auch nichts neues. Aber nicht mal an diesen hält sich die Staatsanwaltschaft.

Einmal die Fehler des Systems erkannt und angesprochen, ist man schnell als „Extremist“ abgestempelt. Und kaum ist man mit diesem subjektiven und unwissenschaftlichen Begriff gebrandmarkt, gelten für einen die demokratischen Rechte nicht mehr, sodass sogar Mainstream-Medien erkennen müssen, dass was im Prozess gegen Lina E. und drei ihrer angeblichen Komplizen passiert, „Feindjustiz“ sei, wir würden es Klassenjustiz nennen. Sowohl gegen diese Angeklagten des Sogenannten Antifa-Ost Verfahrens, als auch gegen Jo und Dy im sogenannten Wasenverfahren, ist bzw. war die Beweislage, Verzeihung Indizienlage, bestenfalls dürftig;
aber für „Linksextermist:innen“ genügt das.

Aber wie sollte man sich angesichts dieser Verhältnisse nicht „extrem“ dagegenstellen?

Warum sollen wir auf das System, das für einige von uns nicht mehr als die verbotenen Parkbänke zu bieten hat, vertrauen, wenn es sich durch Staatsanwälte wie Graulich und seine Abteilung vertreten lässt?

Warum sollten wir den „Freunden und Helfern“ – wie die Propaganda der Nazis sie so gerne nannte – vertrauen, wenn sie uns schlagen wenn wir unser Demonstrationsrecht wahrnehmen?

Warum sollten wir den gesetzlichen Rahmen als Maßstab für richtig und falsch nehmen, wenn sie dabei straffrei bleiben, und stattdessen wir dafür verurteilt werden, geschlagen worden zu sein?

Ob das nun mich betrifft oder nicht ist egal, es sollte eine politische Person erkannt werden, gemeint sind wir alle, sogenannten „Linksextremist:innen“.

Aber extrem sind diese Verhältnisse – Kriminell ist das System!

Solange das so ist, bleibt der Faschismus eine Option für den Machterhalt Herrschenden, und der Staat hat offensichtlich kein Interesse daran, dem etwas entgegen zu stellen. Wir müssen es also weiterhin selbst in die Hand nehmen.

Antifa bleibt notwendig.

In der Begründung des Freispruches lässt es sich die Richterin nicht nehmen zu betonen, es handle sich dabei nicht um ein „politisches Urteil“, es sei allein die mangelnde Identifizierung verantwortlich für die Entscheidung.

Schön, dass das Gericht somit bestätigt, dass der Freispruch keineswegs die politische Perspektive der Erklärung des Angeklagten widerlegt.