Reaktionen auf den Mord an Nahel

Die Polizei tötet, die Regierung und die extreme Rechte applaudieren

Jeune Garde Strasbourg

Die Polizei hat den 17jährigen Nahel getötet, wegen der „Verweigerung sich zu fügen“. Obwohl die Todesstrafe in Frankreich abgeschafft ist, verliert ein weiterer Jugendlicher aus den Vierteln sein Leben durch die Polizei. Das ist kein Einzelfall, angesichts von 16 solcher Morde in 2022.

Es dauerte nur wenige Stunden, bis die Regierung und die extreme Rechte uns einen medialen und politischen Erguss von Rechtfertigungen für den Mord lieferten. Alles ist recht um das Unverzeihliche zu rechtfertigen: Erfinden einer Strafakte, wiederholen der Lügen des Beamten, mildernde Umstände… Die französische Gewerkschaft der Polizei erlaubt sich sogar den Mörder zu beglückwünschen1Die Gewerkschaft schrieb auf Twitter „Bravo an die Kollegen die das Feuer auf einen jungen 17jährigen Kriminellen eröffnet haben. Indem sie sein Fahrzeug neutralisiert haben, haben sie ihr leben und das der anderen Verkehrsteilnehmer geschützt. Die einzigen verantwortlichen für den Tod dieses Chaoten sind seine Eltern, die unfähig waren ihren Sohn zu erziehen.“, während zwei andere Gewerkschaften (Alliance und UNSA) erklären, sie befänden sich im Krieg gegen die Bevölkerung2In einer gemeinsamen Pressemitteilung erklären sie: „Es reicht… Angesichts dieser wilden Horden genügt es nicht mehr um Ruhe zu bitten, man muss sie durchsetzen! (…) Es ist nicht die Zeit für Gewerkschaftsaktionen, sondern die Zeit des Kampfes gegen diese Schädlinge. (…) Alle Mittel müssen so schnell wie möglich eingesetzt werden, um wieder Ordnung herzustellen. (…) Heute befinden sich die Polizisten im Kampf, da wir uns im Krieg befinden. Morgen werden wir im Widerstand sein und die Regierung wird dem Aufmerksamkeit schenken müssen..

Indem sie sich weigern die Ursachen der Unruhen zu verstehen, indem sie den systemischen Problemen keine Gerechtigkeit zuführen, gießen die Medien Öl ins Feuer.

Wir erklären der Familie von Nahel und den Bewohnern von Nanterre all unsere Unterstützung und fordern Gerechtigkeit und Wahrheit.


Nahel in Nanterre durch die Polizei getötet: Mit der Straflosigkeit der Polizei muss Schluss sein

Union syndicale solidaire3solidarische Gewerkschaftsunion

Nahel, ein junger Mann von siebzehn Jahren, wude am 27. Juni durch den Nahschuss eines Polizisten bei einer Verkehrskontrolle getötet. Ein weiteres Mal, ein Mal zu viel, gibt es den einen Tod bei einer Maßnahme der Polizei in einem Arbeiterviertel zu bedauern.

Die Union syndicale solidaire erklärt der Familie von Nahel ihr aufrichtiges Mitgefühl, insbesondere seiner Mutter, seinen allernächsten, seinen Freund·innen, seinen Lehrer·innen.

Die Bilder die einer Hinrichtung gleichen sind unerträglich. Sie wecken ein legitimes Gefühl der Revolte, die sich im ganzen Land ausdrückt. Es gab keine Gefahr die gerechtfertigt hätte eine Waffe zu ziehen und Nahel im Kontext eines einfachen Vergehens im Straßenverkehr zu töten.

Einige Medien, und nicht nur die in den Händen eines Milliardärs der sie der extremen Rechten widmet, sind schnell dbei, die Erinnerung an das Opfer zu beschmutzen, als hätte irgendein Vorstrafenregister diese kriminelle Aktion gerechtfertigt. Die extreme Rechte spuckt, wenig überraschend, auf das Opfer, die Regierung vergießt Krokodilstränen.

Die Union syndicale solidaire fordert Wahrheit und Gerechtigkeit für Nahel. Der Eindruck der Straffreiheit der Polizei tötet. Als der Artikel L435-14Gesetz von 2017 das festlegt, wann Polizist:innen und Soldat:innen die Schusswaffe gebrauchen dürfen. Es sieht unter anderem vor, dass der Schusswaffengebrauch legitim sei, wenn „Nach zweimaligem lauten Rufen kein anderes Mittel bleibt, um Personen zum Stoppen zu bringen“. verabschiedet wurde, haben sich zahlreiche Stimmen erhoben, die auf das Risiko von unangemessenem Schusswaffengebrauch warnten. Diese Sorgen waren leider begründet. Es ist dringend notwendig, das Gesetz zu ändern und die Polizei tiefgreifend zu reformieren, sowie ihre Interventionstechniken und ihre Bewaffnung. Sogar die UNO hat kürzlich Frankreich für diese Polizeigewalt und seine rassistischen Diskriminierungen kritisiert.

Nach Zyed, Bouna, Adama, Théo, Michel, Lamine, Alhoussein und so vielen weiteren, ist es offensichtlich, dass es ein großes Gewaltproblem und ebenso ein Rassismusproblem in der französischen Polizei gibt.

Die Union syndicale solidaire schließt sich dem Aufruf an, diesen Donnerstag den 29. Juni um 14h in Nanterre auf die Straße zu gehen, um die Familie zu unterstützen.


Sich an der Revolte beteiligen, die Aufständigen unterstützen

Rebellyon.info

Ein weiteres mal tötet die Polizei. Kaltbültig. Es war der 27. Juni in Nanterre, am Morgen. Gestern war es in Angoulême, dass ein junger Mann aus Guinea am Steuer seines Autos auf dem Weg zur Arbeit getötet wurde; vorgestern war es auf dem Parkplatz eines Supermarktes in Vénissieux, nachts, als zwei junge Männer in ihrem Renault Mégane von einer Brigarde der BST5Spezialeinheit der französischen Polizei niedergeschossen wurden. „Verweigerungen sich zu fügen“ werden angeführt um Polizei, Journalisten und Anwälte zu rechtfertigen. Gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen.

Nahel hätte einfach in die Liste der Statistiken der „place Beauvau“6Platz in Paris, dort befindet sich das Innenministerium aufgenommen werden können – der fünfzehnte Autofahrer der seit 2022 durch die Polizei getötet wurde. Aber dieses Mal geht die Sache nicht so einfach unter. Die Situation wird gefilmt und geht in den sozialen Medien und den Fernsehsendern viral. Schwierig zu rechtfertigen, wenn man die Bilder sieht und die überwältigende Tonspur hört („Du wirst dir eine Kugel in den Kopf fangen!“, „Schieß!“). Die Journalisten haben keine andere Wahl als die Version der Polizei zu spiegeln (das berühmte „die Polizei hat geschossen um ihr Leben zu schützen“). Die Abgeordneten der NUPES7Linksgerichtete französische Partei: „Neue ökologische und soziale Volksunion“ gehen auf die Barrikaden. Die Anwälte der Familie drohen jeden zu verfolgen, der behaupten würde Nahel habe ein Vorstrafeinregister. Die Adresse des Mörders geht auf Snapchat um 8Der Veröffentlicher wurde im Schnellverfahren zu 18 Monaten Gefängnis, davon 12 auf Bewährung verurteilt (Fußnote im Original). Die Situation zwingt Gérald Darmanin9Französischer Innenminister seinen Stolz beiseite zu schieben und zuzugeben, dass es sich um „extrem schockierende Bilder“ und „Handlungen die nicht konform mit den Instruktionen und den Gesetzen der Republik“ handelt. Dieser Hintergrund (die gefilmte Szene war sofort verbreitet worden, „die Ergebnisse der Ermittlungen wurden nicht abgewartet, Nahel ist minderjährig, das ganze passiert in der Nähe von Paris, gleich in der ersten Nacht gibt es Aufstände…) mündet in einem ungewöhnlichen Fakt: Der Mörder wird von seinen Vorgesetzten und dem judikativen Apparat fallen gelassen. Dieser Funktionär, ausgezeichnet vom alten Präfekten der Polizei Didier Lallement für seinen „Mut angesichts der Gelbwesten“ [sic], wird zur heraussragenden Einzelfall. Im Gegensatz zu all seinen Kollegen, welche ähnliche Schüsse in ähnlichen Situationen abgefeuert haben und auf freiem Fuß blieben, wird er zwei Tage später verhaftet.

Aber die Verhaftung des Polizisten und die Erklärungen Macrons („Ein unerklärlicher und nicht zu entschuldigender Akt“ mit Bezug auf die Hinrichtung von Nahel) reichen nicht aus: Die Revolte ist ausgelöst. Die Ziele sind klar: In erster Linie die Männer in blau, die Kommissariate, die Rathäuser und alles was wie ein öffentliches Gebäude aussieht. Im November 2005, hatten die Aufstände zwei Wochen gebraucht, um sie durch das ganze französische Territorium zu ziehen. Nun ist die Bewegung ab dem zweiten Abend allgegenwärtig. In Fresnes wird der Wachposten des Gefängnisses angegriffen. Busse und Straßenbahnen werden in mehreren Städten angezündet. Kurzvideos von Polizisten in Zivil und Schließern die auf der Straße erkannt und zur Verantwortung gezogen werden kursieren. An einigen Orten ist die Polizei gezwungen den Rückzug anzutreten. Das Konzert von Mylène Farmer im „Stade de France“ wurde abgesagt. Alles ist chaotisch.

An den folgenden Tagen, trotz des großen Polizeiaufgebots (bis zu 45 000 Ordnungshüter) setzen sich die Aufstände fort. An einigen Orten fangen sie schon am Spätnachmittag an. Steine und Pyrotechnik gegen Tränengas und Gummigeschosse. Wo die Aufständischen 2005 dem Ausnahmezustand getrotzt und in relativer Isolation gekämpft hatten, dominieren nun ab dem ersten Tag breite Aufrufe zu Versammlungen und Demonstrationen in den Innenstädten. Sie entladen sich in neue Zusammenstöße mit der Polizei in mehreren großen Städten (Paris, Lyon, Marseille, Strasbourg, Saint-Etienne, …). Der Aufstand breitet sich aus. Und da sich die Feindschaft gegenüber der Polizei im Kontext einer „galoppierenden Inflation“ (mit einem Benzinpreis von fast 2 Euro 10Als der Diesel damals die 1,45 Euro pro Liter erreicht hatte, waren die Gelbwesten entstanden. Als quasi-aufständische Bewegung brachten sie mit der Besetzung von Kreisverkehren und massiver Konfrontationen mit der Polizei, die Regierung ins Wanken. (Fußnote im Original)) abspielt, vervielfachen sich die Plünderungen: Einkaufszentren, Supermärkte und andere Läden sehen ihre Vitrinen entglast und ihre Waren entwendet. Geh nach Hause Bruno Lemaire11Ehemaliger Wirtschafts- und Finanzminister unter Macron, liberal-konservativ.

Angesichts solcher Ereignisse, mit einer Antwort die ausnahmsweise dem Verbrechen angemessen ist, hat die Partei der Ordnung die Generalmobilisierung eingeläutet. Die Journalisten von „le Monde“ scheuen sich nicht festzustellen, entgegen aller Belege, dass „die Gewalt die in Frankreich begangen wird nun nicht mehr viel mit dem Tod des jungen Nahel zu tun hat“ (2/7/23). Die Macht hingegen beschränkt sich darauf Killian Mbapé12Fußballspieler und die französische Nationalmannschaft zu bitten zur Ruhe aufzurufen und alle dazu einzuladen, brav nach Hause zu gehen. Die Drohungen von Dupont-Moretti13Justizminister gegenüber den Eltern deren Kinder bei den Aufständen verhaftet werden, widersprechen den Aufrufen zur Ruhe „aus Respekt vor der Familie“ dieser Gauner von Politikern. In dem Windschatten bilden sich faschistische Mobilisierungen, die an mehreren Orten zu sehen sind (Lyon, Angers, Lorient und Chabéry). Hinter den Rufen danach „die Justiz ihre Arbeit machen zu lassen“ und den „Friedensbotschaften“, spürt man eine gewisse Fiebrigkeit der etablierten Mächte. Es gibt nicht viele „vernünftige“ Gesprächspartner, mit denen man was auch immer verhandeln könnte wenn die Unruhen mehrere hundert Gemeinden gleichzeitig betreffen.

Solche Angriffe14Konfrontationen finden statt in Duchère, Guillotière, Vaulx-en-Velin, Villeurbanne, Vénissieux, Meyzieu, Villefranche, Bron, Caluire, Décines, Givors, Grigny, Oullins, Pierre-Bénite, Rillieux la Pape, St Fons, St-Priest, Saint Genis Laval, Brignais, im Zentrum von Lyon… (Fußnote im Original), erforden unsere Mitwirkung zur Entschlossenheit und Mut in dieser Situation. Diese Momente der Revolte sind einschneidend. Alles ist einfach zu lesen. Wir stehen entweder auf der Seite der Aufständischen oder auf der Seite des Aufrechterhaltens der Ordnung und der Reaktion.

P.S.: Scheut euch nicht den Kontakt der Solidaritätskasse15Solidaritätsorganisation gegen Repression, ähnlich der Roten Hilfe an die Angehörigen der Verhafteten weiterzugeben (870 Anfragen allein in der Nach vom 29. auf den 30. Juni und ein Dutzend für Lyon; nahezu eintausend in der Nacht von Freitag auf Samstag, 49 Festnahmen in der Region um Lyon und 35 Festnahmen in der Nacht von Samstag auf Sonntag. 17 Personen sind bereits im Gefängnis von Corbas eingesperrt). Um die Gefangenen nicht alleine zu lassen, können wir zu den Schnellverfahren vor Gericht gehen (Montags bis Freitags ab 14h, Rue Servient) um unsere Unterstützung bei den Anhörungen auszudrücken und bei den Verfahren für Kinder und Minderjährige16Die Anhörungen sind nicht öffentlich, aber man kann mit den Familien reden. (Fußnote im Original).

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    Die Gewerkschaft schrieb auf Twitter „Bravo an die Kollegen die das Feuer auf einen jungen 17jährigen Kriminellen eröffnet haben. Indem sie sein Fahrzeug neutralisiert haben, haben sie ihr leben und das der anderen Verkehrsteilnehmer geschützt. Die einzigen verantwortlichen für den Tod dieses Chaoten sind seine Eltern, die unfähig waren ihren Sohn zu erziehen.“
  • 2
    In einer gemeinsamen Pressemitteilung erklären sie: „Es reicht… Angesichts dieser wilden Horden genügt es nicht mehr um Ruhe zu bitten, man muss sie durchsetzen! (…) Es ist nicht die Zeit für Gewerkschaftsaktionen, sondern die Zeit des Kampfes gegen diese Schädlinge. (…) Alle Mittel müssen so schnell wie möglich eingesetzt werden, um wieder Ordnung herzustellen. (…) Heute befinden sich die Polizisten im Kampf, da wir uns im Krieg befinden. Morgen werden wir im Widerstand sein und die Regierung wird dem Aufmerksamkeit schenken müssen.
  • 3
    solidarische Gewerkschaftsunion
  • 4
    Gesetz von 2017 das festlegt, wann Polizist:innen und Soldat:innen die Schusswaffe gebrauchen dürfen. Es sieht unter anderem vor, dass der Schusswaffengebrauch legitim sei, wenn „Nach zweimaligem lauten Rufen kein anderes Mittel bleibt, um Personen zum Stoppen zu bringen“.
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    Spezialeinheit der französischen Polizei
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    Platz in Paris, dort befindet sich das Innenministerium
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    Linksgerichtete französische Partei: „Neue ökologische und soziale Volksunion“
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    Der Veröffentlicher wurde im Schnellverfahren zu 18 Monaten Gefängnis, davon 12 auf Bewährung verurteilt (Fußnote im Original)
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    Französischer Innenminister
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    Als der Diesel damals die 1,45 Euro pro Liter erreicht hatte, waren die Gelbwesten entstanden. Als quasi-aufständische Bewegung brachten sie mit der Besetzung von Kreisverkehren und massiver Konfrontationen mit der Polizei, die Regierung ins Wanken. (Fußnote im Original)
  • 11
    Ehemaliger Wirtschafts- und Finanzminister unter Macron, liberal-konservativ
  • 12
    Fußballspieler
  • 13
    Justizminister
  • 14
    Konfrontationen finden statt in Duchère, Guillotière, Vaulx-en-Velin, Villeurbanne, Vénissieux, Meyzieu, Villefranche, Bron, Caluire, Décines, Givors, Grigny, Oullins, Pierre-Bénite, Rillieux la Pape, St Fons, St-Priest, Saint Genis Laval, Brignais, im Zentrum von Lyon… (Fußnote im Original)
  • 15
    Solidaritätsorganisation gegen Repression, ähnlich der Roten Hilfe
  • 16
    Die Anhörungen sind nicht öffentlich, aber man kann mit den Familien reden. (Fußnote im Original)