Bundeskabinett beschränkt Rechte Geflüchteter

Verschärfte Regeln: Abschieben um fast jeden Preis

Bundesminister beschließen trotz scharfer Kritik von Flüchtlingsräten und Verbänden den Entwurf für ein »Rückführungsverbesserungsgesetz«

Jana Frielinghaus für neues Deutschland

Die Zahl der Rückführungen von Menschen, deren Asylgesuche nicht anerkannt wurden, wird nach Ansicht von Experten auch durch die erneute Verschärfung der gesetzlichen Vorschriften für Abschiebungen nicht wesentlich steigen. Denn Voraussetzung dafür ist, dass Staaten sich bereit erklären, Geflüchtete auf- oder zurückzunehmen. Entsprechende Abkommen gibt es nur mit wenigen Ländern.

Dennoch beschloss das Bundeskabinett am Mittwoch den Entwurf für ein »Gesetz zur Verbesserung der Rückführung«, den das Innenministerium bereits vor zwei Wochen veröffentlicht hatte. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) anschließend: »Wir sorgen dafür, dass Menschen ohne Bleiberecht schneller unser Land verlassen.« Zugleich wolle man so Kapazitäten schaffen für jene, die wirklich Schutz brauchten. Die Maßnahmen seien nötig, »damit wir weiterhin unserer humanitären Verantwortung für die Menschen gerecht werden können, die wir vor Krieg und Terror schützen müssen wie zum Beispiel auch die 1,1 Millionen Menschen aus der Ukraine«.

Das Gesetz, das nun im Bundestag beraten und verabschiedet werden muss, sieht vor, die Höchstdauer des sogenannten Ausreisegewahrsams von derzeit zehn auf 28 Tage zu verlängern. Ferner sind erweiterte Befugnisse von Behörden sowie ein härteres Vorgehen gegen Schleuser geplant. Mit den neuen Vorschriften will die Regierung die Zahl der kurzfristig gescheiterten Abschiebungen reduzieren. Gleichwohl rechnet auch das Bundesinnenministerium damit, dass mithilfe des Gesetzes jährlich lediglich 600 Personen mehr als bisher abgeschoben werden können.

Laut Entwurf sollen Behördenmitarbeiter auf der Suche nach Abzuschiebenden in Gemeinschaftsunterkünften auch die Räume Dritter betreten dürfen. Zudem sollen »Rückführungen« unter bestimmten Umständen nicht mehr angekündigt werden müssen. Mitglieder krimineller Vereinigungen und Straftäter sollen künftig leichter ausgewiesen werden können, ebenso wie »Gefährder« – ein von Juristen als extrem interpretationsfähig kritisierter Begriff. Er bezeichnet Personen, denen Sicherheitsbehörden schwere Gewalttaten bis hin zu Terroranschlägen zutrauen.

Wohnungen sollen nach Datenträgern und Unterlagen durchsucht werden dürfen, um die Identität und Staatsangehörigkeit Betroffener zu klären. Um die Behörden zu entlasten, soll der Aufenthalt in Deutschland während des Asylverfahrens für jeweils sechs statt bisher nur drei Monate genehmigt werden.

Von Januar und Juni dieses Jahres wurden nach Auskunft der Bundesregierung an die Linksfraktion 7861 Menschen abgeschoben. Im Vorjahreszeitraum waren es 6198. Am 30. Juni waren 279 000 Menschen ausreisepflichtig. Die meisten von ihnen (224 768) hatten aber eine sogenannte Duldung. Gründe dafür können Krankheiten, ein Ausbildungsvertrag oder fehlende Papiere sein.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßte die Pläne. Ihr innenpolitischer Sprecher Alexander Throm (CDU) betonte aber, entscheidend sei es, »den ungezügelten Zustrom der Asylmigration auszubremsen«.

Abschiebungen sollen auch auf EU-Ebene forciert werden. Ende September protestierten in Berlin viele Menschen dagegen.
Foto: Visum/Stefan Boness

Kritik an dem mit den Verschärfungen verbundenen Abbau von Rechten übte unter anderem die Hilfsorganisation Pro Asyl. Deren rechtspolitische Sprecherin Wiebke Judith kritisierte, die Bundesregierung opfere die Grundrechte der Betroffenen dem »rechtspopulistischen Diskurs«. Dabei sei »schon jetzt jede zweite Abschiebungshaft rechtswidrig, schon jetzt werden Familien getrennt und Kinder nachts aus dem Schlaf gerissen«. Die geplanten Maßnahmen griffen unter anderem in die durch das Grundgesetz verbrieften Rechte auf Freiheit, auf die Unverletzlichkeit der Wohnung und auf informelle Selbstbestimmung und Privatsphäre ein. Judith verwies zudem darauf, dass 71 Prozent der Asylanträge positiv beschieden werden.

Einwände kamen auch aus den Reihen der Grünen. Die Fraktion werde »verfassungs- und europarechtliche Bedenken« im Bundestag zur Sprache bringen, sagte die Abgeordnete Filiz Polat. Auch sie nannte die geplanten Eingriffe in Grundrechte »unverhältnismäßig«. Ministerin Faeser verwies darauf, dass die Minister der Grünen dem Entwurf zugestimmt haben.

Mit dpa

 

Die Redaktion des „neuen Deutschlands“ ist „überzeugt: Eine andere Welt ist möglich.
Deswegen berichtet die linke Zeitung über die Missstände in der alten und über Kämpfe und Kultur für die andere Welt.

„nd“ bietet einen guten Nachrichten-Überblick über aktuelle Themen – auch solche, die ihr in den Mainstream-Medien vielleicht verpasst hättet.


Mit Willkür und Härte

Bundeskabinett beschließt Entwurf des »Rückführungsverbesserungsgesetzes«. Union will noch schärfere Abschottung

Von Philip Tassev für Junge Welt

»Ausreisepflichtige« sollen künftig bis zu 28 Tage in Haft bleiben und ohne Vorwarnung abgeschoben werden

Inmitten einer rassistisch aufgeladenen Migrationsdebatte hat die Ampel die Weichen für ein noch rigideres Abschieberegime gestellt. Am Mittwoch verabschiedete das Kabinett den von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) eingebrachten »Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung«. Es soll dafür sorgen, »dass Menschen ohne Bleiberecht schneller unser Land verlassen«, so die Ministerin, die sich erdreistete, zu behaupten, »irreguläre Migration« müsse begrenzt werden, »um das Grundrecht auf Asyl zu schützen«. Ein »Bündel restriktiver Maßnahmen für mehr und schnellere Rückführungen« sei notwendig, um »unserer humanitären Verantwortung« für Menschen nachzukommen, die »vor Krieg und Terror« flüchten.

Dieses Paket umfasst unter anderem die erweiterte Durchsuchung von Gemeinschaftsunterkünften sowie von Wohnungen zur Identitätsklärung, die Verlängerung der Abschiebehaft von derzeit zehn auf 28 Tage und die Abholung von »Ausreisepflichtigen« auch bei Nacht. Verstöße gegen Einreise- und Aufenthaltsverbote werden künftig als eigenständiger Grund für Abschiebehaft gewertet. Besonders soll die Abschiebung von Straftätern sowie von Polizeibehörden willkürlich als »Gefährder« eingestuften Personen erleichtert werden. Um Mitglieder von »kriminellen Vereinigungen« – darunter können auch politische Gruppierungen fallen – schneller abschieben zu können, sieht der Gesetzesentwurf Abschiebungen künftig auch »unabhängig von strafgerichtlichen Verurteilungen« auf der Grundlage von »hinreichenden Tatsachen, die eine Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung belegen« vor. Welche Tatsachen damit gemeint sind, präzisierte die Ministerin nicht, die kürzlich bereits die Abschiebung von nur durch einen gemeinsamen Nachnamen erkennbaren »Clan-Angehörigen« gefordert hatte.

Es war ihr aber wichtig, zu betonen, dass das Gesetz auf Wunsch der Länder und Kommunen entworfen wurde, und dass es sich dabei nicht um einen »Faeser-Beschluss« handele, sondern um einen Beschluss des Bundeskabinetts, »und da sitzen die Grünen mit am Tisch«.

Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion Jens Spahn, der noch am Vortag gefordert hatte, »irreguläre Migrationsbewegungen« gegebenenfalls »mit physischer Gewalt« aufzuhalten, wollte am Mittwoch im Gespräch mit Phoenix in der Migrationsdebatte keine »Stimmungsmache« erkennen und bezeichnete die »irreguläre Migration« als das »Grundproblem«, an dem das Gesetz nichts ändern werde. Zwar seien Abschiebungen eine wichtige »Botschaft« an die Herkunftsländer, dass es sich nicht lohne, den gefährlichen Weg nach Europa zu riskieren, viel wichtiger sei allerdings die »Sicherung« der EU-Außengrenzen, um Flüchtenden »klar zu machen: Hier geht es nicht weiter«. Der, wie Spahn es nannte, »christliche Teil« seiner Forderung bestand dann darin, über Kontingente des UN-Flüchtlingshilfswerks ausgewählten Frauen und Kindern Asyl zu gewähren.

Die Flüchtlingsschutzorganisation Pro Asyl sprach dagegen von »rechtsstaatlich fragwürdigen Verschärfungen« mit »schwerwiegenden Eingriffen in Grundrechte ohne jede Verhältnismäßigkeit«. Verschärfte Abschieberegeln würden nicht dazu führen, dass nennenswert mehr Menschen abgeschoben werden, betonte die rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl, Wiebke Judith. »Aber sie führen zu noch mehr Härte und Verletzungen der Grundrechte.«

 

Die junge Welt ist eine linke, marxistisch orientierte, überregionale Tageszeitung mit einem hohen Anteil an Hintergrundberichten, umfassenden Analysen und immer mittwochs mit der Antifaschismus-Themenseite. Die Printausgabe erscheint werktäglich mit mindestens 16 Seiten, sie ist im Abonnement und am Kiosk erhältlich. Die Online-Ausgabe erscheint jeweils im Vorab.