Die Geschichte lehrt uns: Antisemitismus bekämpfen

Warum der 9. November?

Am 9. November versammeln sich überall in der Bundesrepublik Antifaschist:innen, um an die antisemitischen Gräueltaten des deutschen Faschismus zu erinnern. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden in einer reichsweiten, koordinierten Aktion von SA und SS jüdische Wohnungen, Geschäfte und Synagogen angegriffen, geplündert und niedergebrannt. Über 30.000 Jüd:innen wurden in Konzentrationslager verschleppt und mehr als 1.300 Jüd:innen während den Novemberpogromen ermordet. Viele Menschen aus der Nachbarschaft beteiligten sich an den organisierten Hetzjagd, die meisten nahmen sie einfach hin.

Diese Nacht stellte den Wendepunkt in der faschistischen Herrschaft von der Diskriminierung zur systematischen Verfolgung dar, die schließlich im systematischen Völkermord an den europäischen Jüd:innen gipfelte. Schätzungsweise 6 300 000 Jüd:innen ermordeten die Faschist:innen während der Shoah. Die Pogrome waren ein wichtiger Schritt in der Entwicklung der von den Faschist:innen propagierten Deutschen Volksgemeinschaft hin zu einer völkischen Kriegsgemeinschaft, die essenziell für die Durchführung des 2. Weltkriegs war. Dabei konnten die Faschist:innen auf die lange Kontinuität eines breit in der Gesellschaft verwurzelten Antisemitismus aufbauen.

Die Volksgemeinschaft ist elementarer Bestandteil faschistischer Ideologie. Sie wurde und wird, insbesondere in Deutschland, durch die antisemitische Erzählung einer jüdischen Weltverschwörung unterstützt, die für alles Schlechte in der Welt verantwortlich gemacht wird. So werden die Fronten verschiedener Widersprüche nicht zwischen den Klassen innerhalb eines bürgerlichen Staates verortet, sondern zwischen Innen (der „Volksgemeinschaft“) und Außen (dem „internationalen Judentum“). Damit wird das gesamte „Volk“ unabhängig von Klassenzugehörigkeit gegen diesen vermeintlichen äußeren Feind verschworen. Somit dient der Antisemitismus in erster Linie dazu, die Widersprüche im Kapitalismus falsch zu „erklären“, ohne deren wirklichen Gründe zu benennen und dadurch die Klassenwidersprüche zu verschleiern.

Der Antisemitismus wird heute zwar nicht mehr so offen gezeigt, ist aber noch immer zentraler Bestandteil faschistischer Ideologie, um alle anderen chauvinistischen Positionen faschistischer Kräfte zu verknüpfen. In relativ weiten Teilen der deutschen Gesellschaft wird offener Antisemitismus noch immer tabuisiert. Dies und der Fakt, dass die NSDAP einen Großteil der deutschen Jüd:innen vertrieben oder physisch vernichtet hat, führte dazu, dass die heutige extreme Rechte andere Feindbilder in den Vordergrund stellt. Diese erfüllen jedoch die gleiche Sündenbockfunktion, wie Jüd:innen vor 1945. Sie bieten aber den Vorteil, dass sie in der heutigen deutschen Gesellschaft viel präsenter sind und ein direktes Angriffsziel für verbale und physische Attacken bieten. Antisemitische Positionen werden öffentlich meist so formuliert, dass diese gerade noch in die Grenzen der bürgerlichen Gesetze fallen. Insbesondere seit der sogenannten „Flüchtlingskrise“ Mitte der 2010er Jahre wird das Narrativ vom „Großen Austausch“ vorangetrieben. Eine angeblich rassisch reine, weiße, christliche Bevölkerung Europas würde durch gesteuerte Einwanderung von Muslim:innen aus Afrika und dem Nahen Osten ausgetauscht, beziehungsweise vernichtet. Diese Gruppen sind hier das direkte Feindbild. Doch auch diese Verschwörungstheorie ist von Grund auf antisemitisch. Denn der sogenannte „Große Austausch“ ist im Narrativ der Rechten keine Migrationsbewegung aufgrund wirtschaftlicher Not und Kriegen, sondern wird aktiv von dunklen Mächten im Hintergrund gesteuert: Dem internationalen Judentum. Auf Grund dieser Verschwörung hatte auch der Attentäter von Halle Jüd:innen als „wichtigeres Ziel“ angesehen als Migrant:innen, Muslim:innen oder Linke, da er Jüd:innen als das Zentrum des „Problems“ ansah und andere Feinde seines Weltbilds nur als deren „Golems“. Symbolisch werden hier vermeintliche oder wirkliche bekannte jüdische Personen als Drahtzieher genannt, wie Bill Gates oder George Soros. Zusätzlich werden hier historische, antisemitische Stereotype auf Muslim:innen erweitert. Dies äußert sich nicht nur in rechter Propaganda, sondern reicht weit in die bürgerliche Mitte hinein. Bilder von unzivilisierten, asiatischen Horden, die das „weiße, zivilisierte“ Europa überrennen und dabei Tiere schächten und deutsche Frauen vergewaltigen wurden in der NS-Propaganda auf Jüd.innen projiziert. Heute findet man die selben Bilder mit Muslim:innen auf AfD-Plakaten, Spiegel-Covern und in der Bild-Zeitung. Die antisemitische Erzählung vom „Großen Austausch“ ist in der extremen Rechten, von Querdenken über Identitäre Bewegung bis zur AfD verbreitet und gemeinsamer Identitätsstifter für die politische Zusammenarbeit. Exemplarisch sei hier die Rede von Björn Höcke im Herbst 2022 in Gera genannt. Der Zusammenhang zwischen der massiven Erhöhung der Energiepreise und dem Krieg in der Ukraine erklärte Höcke hier auf eine völkische Weise. Russland auf der einen Seite und die Ukraine, Deutschland und die USA auf der anderen seien durch „fremdbestimmte“ Mächte in einen Krieg getrieben worden. Welche Mächte dies genau seien ließ Höcke offen. Es steht aber außer Zweifel, dass hier eine jüdische Weltverschwörung gemeint war, was dem aufmerksamen rechten Zuhörer auch nicht entgangen sein wird. Insgesamt haben (offen) antisemitische Verschwörungserzählungen auch im Zuge der Querdenken-Bewegung an Relevanz in der Gesellschaft und im rechten Lager gewonnen.

Wohin diese Rhetorik und die noch immer tiefe Verwurzelung dieser Ideologie in Teilen der deutschen Gesellschaft führt, belegen die zahlreichen Angriffe auf Jüd:innen und jüdische Einrichtung in der BRD. Diese haben in einer Kontinuität des Deutschen Faschismus seit 1945 ununterbrochen stattgefunden.

Es ist also richtig und wichtig, dass wir als klassenbewusste Antifaschist:innen gerade am 9. November auf die Straße gehen. Auch heute ist der Antisemitismus aufgrund seiner Funktion zentraler Bestandteil faschistischer Ideologie. Diesen Umstand zu erklären, auf ihn aufmerksam zu machen und ihn zu bekämpfen, ist eine wichtige Aufgabe für unsere Bewegung – denn „der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das Kroch.“ (Bertolt Brecht)

Gehen wir deswegen am 9. November auf die Straße; an verschiedenen Orten, aber in gemeinsamer Sache:

Welzheim

Am 9. November jährt sich die faschistische Reichspogromnacht zum 85. Mal.

Das Naziregime organisierte im ganzen ehemaligen Reichsgebiet die Plünderung und Zerstörung jüdischer Einrichtungen, Synagogen, Geschäfte und Privatwohnungen. Hunderte Menschen jüdischen Glaubens wurden direkt ermordet. Zehntausende kamen in Konzentrationslager, viele von ihnen hier nach Welzheim.

Diese Nacht wurde zum Wendepunkt in der Verfolgung Menschen jüdischen Glaubens, welche schließlich im industriellen Völkermord, dem Holocaust, mündete. Das sogenannte „Schutzhaftlager Welzheim“ diente auch als eine Zwischenstation zu den Vernichtungslagern für Deportierte aus dem Raum Württemberg/Hohenzollern. Es wurde zudem von der Stuttgarter Gestapo systematisch als Folterstätte genutzt, um widerständige Gefangene zu brechen. Zahlreiche Menschen wurden hier durch Folter, Erhängen und Erschießen ermordet.

Leider ist der Antisemitismus keinesfalls zusammen mit dem deutschen Faschismus zerstört worden. Gerade in Krisenzeiten haben solche Verschwörungsmythen Hochkonjunktur. So wurden auch in den vergangen Jahren antisemitische Erzählungen durch AfD, Querdenken und andere Rechte vorangetrieben und spielen dort eine zentrale Rolle. Während in Wahlumfragen die in Teilen offen faschistische AfD weit vorne liegt, werden ihre Inhalte und Forderungen schon jetzt von den Leitmedien und den bürgerlichen Parteien aufgegriffen und zum Teil umgesetzt.

In einem solchen gesellschaftlichen Klima ist eine lebendige antifaschistische Erinnerungskultur, die die Ursachen klar benennt und daraus Lehren zieht, bitter notwendig. Daran wollen wir anknüpfen und laden alle Welzheimer:innen und Interessierte herzlichst ein. Neben Redebeiträgen, musikalischer Begleitung und einem Gedenkgang zur Friedhofsgedenkstätte, wird es die Möglichkeit der Blumen- und Kranzniederlegung geben.

Damals wie Heute: Gegen Antisemitismus! Gegen Faschismus!

Für eine antifaschistische Gedenkkultur – Erinnern heißt kämpfen!


Landau

Der Abend des 9. November 1938: In ganz Deutschland sowie in Österreich und der Tschechoslowakei brennen Synagogen und jüdische Geschäfte. Jüdinnen und Juden werden in ihren Wohnungen überfallen, zusammengeschlagen, verschleppt, in vielen Fällen ermordet. Am folgenden Tag werden Häuser, Wohnungen und Geschäfte geplündert. Der ohnehin schon grassierende Antisemitismus schlägt der jüdischen Bevölkerung in der Reichspogromnacht mit einer neuen Eskalationsstufe entgegen. Die Überfälle, Brandstiftungen und Plünderungen waren keine spontanen Einfälle, sondern geplant und organisiert von NSDAP, SA und Behörden des faschistischen Staates. Auch in Landau wurde in der Reichspogromnacht die Synagoge angezündet und am 9./10. November insgesamt 18 Wohnungen und Häuser geplündert. Der 9. November 1938 markiert einen Eckpfeiler für den systematischen Massenmord an Jüdinnen und Juden in ganz Europa. Der 9. November ist daher ein Tag, an dem wir jedes Jahr allen Gefolterten, Deportierten und Ermordeten der faschistischen Gewaltherrschaft gedenken.

Antisemitismus ist dabei aber kein Phänomen aus der Zeit des deutschen Faschismus, wenngleich er dort in seiner bisher widerwärtigsten Form zu Tage trat. Antisemitische Verschwörungsmythen und Verklärungen gesellschaftlicher Probleme haben vor allem in Krisenzeiten Hochkonjunktur. Hinzu kommt die Tatsache, dass es in der BRD der Nachkriegszeit nie eine wirkliche Entnazifizierung gab. Das wird an der Tatsache deutlich, dass Faschisten ungestört in ihren alten Berufen und Wirkungsstätten, von Richter über Arbeitgeberpräsident bis Bundeskanzler, weiter agieren konnten sowie den deutschen Sicherheitsapparat neu aufbauten – eine Kontinuität, die sich noch lange fortsetzen sollte. Die 2021 verstorbene Shoa-Überlebende und Antifaschistin Esther Bejarano sagte daher folgerichtig: „Im Kampf gegen Nazis kann man sich auf den Staat überhaupt nicht verlassen.“

Antifaschismus und die Losung, dass sich die Geschichte nicht wiederholen darf, muss unser aller Aufgabe sein. Deshalb heißt erinnern immer auch kämpfen. Dagegen kämpfen, dass sich wieder faschistische Parteien und Ideologien tiefer ins gesellschaftliche Leben drängen, an Akzeptanz und letztlich an Einfluss gewinnen. Dagegen kämpfen, dass sich antisemitische Denkmuster weiter verbreiten. Dagegen kämpfen, dass Jüd:innen als Sündenböcke für die kapitalistische Krise hergenommen werden. Dagegen kämpfen, dass die Geschichte verdreht oder vergessen wird. Und dagegen kämpfen, dass wieder Davidsterne an Haustüren gemalt und Brandsätze an jüdische Einrichtungen geworfen werden.

Wenn wir „Nie wieder!“ sagen, dann meinen wir das auch so. Dann meinen wir nicht nur den Antisemitismus. Dann meinen wir auch generell, dass nie wieder Menschen aufgrund von Religion, Herkunft oder anderer Merkmale entrechtet und entwürdigt werden dürfen. Wir verwehren uns der aktuellen rassistischen Stimmungsmache im Land, dem Geschrei vom „importierten Antisemitismus“, dem Streben nach mehr Abschiebungen von AfD über CDU bis hin zu den Grünen. Wir erkennen, dass einen wirklichen Frieden zwischen den Menschen nur erkämpft, wer gleichauf gegen Antisemitismus, Rassismus und Unterdrückung kämpft.

Nie wieder Faschismus! Nie wieder Antisemitismus! Nie wieder Krieg!


Villingen

Vom offenen Antifaschistische Treffen VS laden wir ein zum Gedenken an die Pogromnacht, zum Erinnern und Kämpfen, zum erinnern um zu verändern.Wie es schon 1945 die Insassen des KZ Buchenwald nach ihrer Selbstbefreiung schworen: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“


Ingolstadt


Karlsruhe

Als „Kristallnacht“ oder „Novemberpogrome“ werden die Terrorakte gegen Juden*Jüdinnen bezeichnet, die vor allem in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 im gesamten Deutschen Reich stattfanden. Von der NS-Führung zentral organisiert und gelenkt, wurde die Gewaltaktionen auf lokaler und regionaler Ebene von Angehörigen der SA und der SS in einem hohen Maß an Eigeninitiative durchgeführt.

Ungefähr 400 Menschen wurden ermordet oder in den Suizid getrieben. Über 1.400 Synagogen und Betstuben sowie etwa 7.500 Geschäfte und Wohnungen wurden zerstört, jüdische Friedhöfe und andere Einrichtungen der Gemeinden wurden verwüstet.

In den Tagen danach verhaftete die Gestapo etwa 30.000 jüdische Männer und verschleppte sie in Konzentrationslager, Hunderte wurden dort ermordet oder kamen zu Tode. Überlebende Häftlinge wurden größtenteils nach einigen Wochen oder Monaten wieder freigelassen.

Es gibt kein Vergeben, es gibt kein Vergessen!

Kundgebung der VVN-BdA Karlsruhe und des OAT Karlsruhe


München

[…]Dieser Nacht und ihrer Opfer wollen wir am 09.11. gemeinsam am Odeonsplatz gedenken.

Gleichzeitig ist es uns wichtig, auch die nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, die Widerstand gegen den Faschismus geleistet haben. Am 08.11.1939 verübte Georg Elser einen Anschlag auf die Führungsriege der NSDAP im Bürgerbräukeller, der aus unglücklichem Zufall heraus scheiterte. Er wurde am selben Abend noch verhaftet, jahrelang gefangen gehalten und gefoltert und schließlich am 09.04.1945 im KZ Dachau hingerichtet. Um ihm und seinem antifaschistischen Widerstand zu Gedenken wollen wir im Nachgang zur Kundgebung gemeinsam zum Rosenheimer Platz laufen und unterwegs Stolpersteine putzen. Vor Ort werden wir Blumen niederlegen und eine kurze Gedenkrede hören.


Augsburg

„Wir erinnern um zu verändern“ – Esther Bejarano

Genau deshalb gehen wir am 9. November, dem Jahrestag der Reichspogromnacht auf die Straße, um während eines gemeinsamen Spaziergangs mit der VVN Augsburg Stolpersteine zu putzen, Laminate aufzuhängen und währenddessen spannende Inputs zu historischen Fakten, aber auch aktuellen Diskussionen wie der aktuell sehr verzerrte Antisemitismusbegriff zu diskutieren.

Kommt vorbei, im Anschluss gibt es Essen und noch einen Film!


Regensburg

Luise Gutmann von VVN-BdA hält beim diesmaligen Antifa-Abend einen Vortrag bzw. Workshop in Gedenken an die Reichspogromnacht in Regensburg.


Stuttgart

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 brannten die Synagogen im gesamten Deutschen Reich sowie in Österreich und in der Tschechoslowakei. Angezündet von SA und SS, organisiert, vorbereitet und angeleitet von Partei, Regierung und Behörden des faschistischen Staates. Am nächsten Tag wurden mehr als 7.000 jüdische Geschäfte geplündert, zehntausende jüdische Menschen verhaftet und über 100 ermordet. Die Polizei verschleppte 26.000 jüdische Männer aus ganz Deutschland – vor allem in die Konzentrationslager Dachau, Sachsenhausen und Buchenwald.

Pogromnacht in Stuttgart

In Feuerbach stand Mitte der 1930er Jahre in der heutigen Stuttgarter Straße 55 das angesehene jüdische Kaufhaus Max Helfer. Dort konnte man fast alles bekommen: „Der Helfer hilft!“, sagten die Leute. Eine kleine Sensation war die Rolltreppe vom Erdgeschoss in den ersten Stock – vor allem beliebt bei den Kindern, so auch bei den zwei Töchtern des Geschäftsinhabers, der mit seiner Familie in Obertürkheim wohnte.

In der Pogromnacht am 9. November 1938 wurde das Geschäft schwer demoliert, geplündert und auf Befehl der Gestapo sofort geschlossen. Die Ehefrau, Pauline Helfer, musste die Scherben und Trümmer selbst beseitigen, denn laut Verordnung „hat der jüdische Inhaber die Schäden, die durch die Empörung des Volkes über die Hetze des internationalen Judentums entstehen, sofort zu beseitigen und dafür die Kosten zu tragen.“ Ihr Ehemann Max war kurz zuvor nach Polen deportiert worden. Im Arbeitslager Biesiadka leistete er Zwangsarbeit und starb 1942 angeblich an einer Lungenentzündung. Die Kinder konnten mit Hilfe eines Hilfskomitees der Quäker 1939 nach England gebracht werden und kehrten nach dem Krieg zu ihrer Mutter zurück.

Zwangsarbeit – das Massenmordprojekt „Vernichtung durch Arbeit

Zwangsarbeit war für die Nazis nicht „nur“ eine Profitquelle lebenszerstörerischer Überausbeutung und Instrument ihres Vernichtungskriegs gegen andere Völker.  Sie war auch eine Methode des gewollten und geplanten Massenmords. Gewolltes verhungern Lassen und krankmachende hygienische Bedingungen in den Barackenlagern gehörten ebenso dazu wie der tagtägliche Terror, der vom Totschlagen bis zu Hinrichtungen aus nichtigsten Anlässen reichte. Vor allem die Rüstungsindustrie, wie z. B. Daimler Benz, profitierte im Faschismus von der „Vernichtung durch Arbeit“, durch die hunderttausende KZ-Häftlinge, Kriegsgefangene und Verschleppte brutal umgebracht wurden.

Daimler Benz

Der WDR berichtete am 13.06.06: „Von 100 000 Daimler Beschäftigten waren 1944 die Hälfte Zwangsarbeiter“. Nach einem IG-Metall-Dokument hatte Daimler einen entsprechenden Antrag an die SS gestellt und wurde daraufhin bevollmächtigt, aus dem KZ die geeignetsten Arbeitskräfte herauszusuchen. Eine junge Tschechin berichtete: „Wir mussten uns auf dem Platz versammeln und es kamen Herren von Daimler Benz und suchten Mädels aus, Mädels die gesund aussahen. Wir mussten unsere Hände zeigen und die Zunge und die Zähne, so wie wenn man Kühe kauft (…) ja wir wurden ausgesucht wie Vieh, wir waren alle nackt und die Herren prüften uns genau.“

Fritz Bauer – 120. Geburtstag eines Antifaschisten

Fritz Bauer, geboren am 16. Juli 1903, wuchs als Kind einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Stuttgart auf. Nach seinem Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften wurde er 1930 jüngster Amtsrichter in der Weimarer Republik. Im Zusammenhang mit Planungen zu einem Generalstreik gegen die Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde Fritz Bauer am 23. März 1933 festgenommen, acht Monate im KZ Heuberg inhaftiert und Ende 1933 wieder aus der Haft entlassen. 1936 floh er nach Dänemark. Nach Kriegsende zog Fritz Bauer 1949 zurück nach Deutschland und wurde 1956 hessischer Generalstaatsanwalt. Sein Ziel war es, beim Aufbau eines demokratischen Justizwesens mitzuwirken und die NS-Verbrechen vor Gericht zu bringen. Er versuchte, Erinnerung und Aufklärung zu ermöglichen – entgegen einer von braunen Seilschaften geprägten Justiz, alten Machtstrukturen und umgeben von einer Bevölkerung, für die durch die Erfahrungen des Faschismus Wegschauen, Verschweigen, Lügen und dreistes Unrechtsbewusstsein in ihrer Mehrheit Normalität waren. Er sagte: „Nichts gehört der Vergangenheit an. Alles ist Gegenwart und kann wieder Zukunft werden.“ In seinem Amt initiierte Fritz Bauer einige große Prozesse gegen ehemalige NS-Funktionäre. Außerdem gab er den entscheidenden Hinweis auf den Aufenthaltsort Adolf Eichmanns, einem der Hauptorganisatoren des Holocaust, sodass Eichmann 1961 in Argentinien gefasst und anschließend in Jerusalem vor Gericht gestellt werden konnte. Fritz Bauer war zudem der maßgebliche Initiator des Frankfurter Auschwitz-Prozesses 1963 bis 1965. Im ersten und größten Verfahren steuerte er die Anklageerhebung gegen 22 mutmaßliche NS-Täter. 1965 eröffnet Fritz Bauer die Voruntersuchungen für einen weiteren Prozess gegen NS-Juristen, die „Euthanasie“-Morde ermöglichten. Nach seinem Tod 1968 wurden diese jedoch nicht weitergeführt. Die fehlende Aufarbeitung und oberflächliche „Entnazifizierung“ haben zur Folge, dass rechte Strukturen auch heute noch in unseren gesellschaftlichen und politischen Institutionen vorhanden sind. Fritz Bauer führte bis zu seinem Tod den Kampf gegen den Faschismus. Sein Anliegen war, „sich seiner zu erinnern, über ihn aufzuklären, seine Wurzeln zu erkennen – und vor allem sein Fortwirken.“

Heute: Welt in der Krise – Aus der Geschichte lernen

Heute stehen wir als Antifaschist*innen erneut vor der Herausforderung der kontinuierlichen, sich zuspitzenden Rechtsentwicklung durch Erstarken faschistischer Bewegungen, erneuter Hochrüstung sowie Demokratie- und Sozialabbau. Fritz Bauer sagte nach dem Auschwitzprozess: „Die Bewältigung der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist gewiss nicht allein, auch nicht vorzugsweise eine Sache der Strafjustiz. Sie geht uns alle an.“ So dürfen wir auch heute den Kampf gegen Rechts nicht der Polizei und dem Staat überlassen, sondern müssen selbst aktiv werden. Wir müssen uns Faschisten in Parlamenten, Rechten, die versuchen Proteste auf der Straße zu unterlaufen oder rassistischer, antisemitischer und rechter Hetze in der Gesellschaft konsequent entgegenstellen.

Die Umfragerekorde der AfD zeigen, dass offener Faschismus immer populärer wird. Bundesweit nehmen rechte Straftaten zu, antisemitisch motivierte Angriffe, trans- und queerfeindlich motivierte Gewalt, aber auch die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte. Letztere ist im Jahr 2022 erstmals seit 2015 wieder gestiegen. Offener Rassismus, wie die Hetze gegen Geflüchtete, wird dabei nicht nur von Einzelnen begangen, sondern politisch geführt. Dies zeigt sich an den EU-Außengrenzen. Die Asylrechts“reform“ ist eben keine „neue, solidarische Migrationspolitik“, wie von Bundesinnenministerin Nancy Faeser behauptet. Es ist die Verwehrung von Grundrechten, die Masseninhaftierung schutzsuchender Menschen und das genaue Gegenteil von Solidarität. Gleichzeitig sind Migrant*innen, die als Arbeitskräfte von den Kapitalverbänden genutzt werden können, erwünscht und werden in einer kapitalistischen Logik sogar benötigt.

Obwohl die Rechtsentwicklung in Politik und Gesellschaft unübersehbar ist, warnt Bundesinnenministerin Nancy Faeser vor der „Gefahr von Links“. Dies hat zur Folge, dass staatliche Repressionen besonders gegen Antifaschisten*innen, aber auch gegen andere demokratische Bewegungen, gerade jetzt immer weiter zunehmen.  Die Folge sind politisch geführte Gerichtsverfahren mit langen Haftstrafen, Verbote von Demonstrationen, Einschränkung der Versammlungsfreiheit und die mediale Hetze gegen Antifaschist*innen. Diese Verzerrung ist extrem gefährlich. Strukturen wie der NSU oder die Vielzahl an rechten Chatgruppen bei Polizei und Bundeswehr zeigen uns, dass faschistische und rassistische Taten keine Einzelfälle, sondern im Staat und seinen Institutionen selbst verankert sind. Während des Faschismus wurde die Justiz dazu benutzt, Verbrechen zu ermöglichen und zu legitimieren. Fritz Bauer schrieb 1955: „Ich wollte ein Jurist sein, der dem Gesetz und Recht der Menschlichkeit und dem Frieden nicht nur Lippendienst leistet.“ Bis heute ist es wichtig, Antifaschismus in jeglicher Form nicht nur als Lippenbekenntnis zu begreifen, sondern ihn aktiv zu leben. Das Gedenken an die Reichspogromnacht ist dabei Teil dieses Kampfes.

Gegen das Vergessen – Kommt am 9. November zur Gedenkkundgebung!

Für uns gilt getreu dem Schwur von Buchenwald:
Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.

 

Dieser Aufruf wird unterstützt von:
Antifaschistisches Aktionsbündnis Stuttgart (AABS); Antifaschistische Aktion Stuttgart (Ortsgruppe der Antifa Süd); DIDF, Freundschafts- und Solidaritätsverein Stuttgart e.V.; DIDF – Jugend Stuttgart; DIE LINKE OV Bad Cannstatt, Münster, Mühlhausen; DGB Stadtverband Stuttgart; DIE LINKE Stuttgart; DKP (Deutsche Kommunistische Partei) Stuttgart; FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN TIERSCHUTZPARTEI Stuttgart; Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba Regionalgruppe Stuttgart; Friedenstreff Cannstatt; Friedenstreff Stuttgart Nord; Groll, Renate und Manfred, Gerlingen; GRÜNE JUGEND Stuttgart; Hofmann, Reiner; Krisenbündnis Stuttgart; Linksjugend [`solid] Stuttgart; Organisation für den Aufbau einer Kommunistischen Arbeiterpartei/ Arbeit Zukunft; „organisierte autonomie Stuttgart“; SDAJ (Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend) Stuttgart; SÖS – Stuttgart Ökologisch; Sozial; Sozialistischer Demokratischer; Stadtjugendring Stuttgart; Studierendenbund Stuttgart (SDS); ver.di Bezirk Stuttgart; ver.di – Jugend Stuttgart; VVN-BdA, Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten; Verein Zukunftswerkstatt e.V., Zuffenhausen; VÖS (Vaihingen Ökologisch Sozial); Waldheim Stuttgart e.V. / Clara Zetkin Haus; Waldheim Gaisburg e.V.; Zukunftsforum Stuttgarter Gewerkschaften

Stolperstein-Putzen des AABS im Vorfeld