geführt von Maja
Was ist das Budapest Antifascist Solidarity Committee?
Das Budapest Antifascist Solidarity Committee (BASC) ist ein Solidaritätsbündnis, das sich gegründet hat, um den Betroffenen beizustehen, die im Kontext der Vorfälle in Budapest im Februar 2023 der Repression ungarischer, deutscher und italienischer Behörden ausgesetzt sind. BASC geht es auch darum, einer radikal linken Perspektive auf die Vorkommnisse den notwendigen Raum zu geben.
Was ist der Hintergrund dieser Repression?
Am zweiten Februarwochenende 2023 fand wieder ein mal der „Tag der Ehre“ in Budapest statt. Seit über zwanzig Jahren nutzen Nazis aus ganz Europa diesen Tag, um Wehrmacht und SS zu gedenken. Gedacht werden soll einer entscheidenden Niederlage von knapp 30.000 NS-Soldaten gegen die Rote Armee in der ungarischen Hauptstadt. Das Wochenende kann als eines der wichtigsten Vernetzungstreffen der internationalen Naziszene gewertet werden. Am Rande dieser Veranstaltung kam es zu mehreren gewalttätigen Auseinandersetzungen mit zum Teil gut organisierten und vernetzten Nazis. Faschist*innen wurden aktiv daran gehindert ihre geschichtsrevisionistische Propaganda ungestört auf die Straße zu tragen, in einem Land in dem sie sich oftmals mehr als sicher wiegen können. Den beschuldigten Antifas wird vorgeworfen, an eben diesen Auseinandersetzungen beteiligt gewesen zu sein.
Wie viele Genoss*innen sind aktuell noch in Ungarn in Haft? Was wird ihnen vorgeworfen?
In Ungarn befinden sich aktuell zwei Genoss*innen in U-Haft, ein deutscher und die italienische Ilaria. Eine weitere deutsche Genossin befand sich kurzzeitig in ungarischer U-Haft, wurde aber unter Auflagen wieder entlassen. Der italienischen Genossin wird vorgeworfen, an den Auseinandersetzungen teilgenommen zu haben. Sie wird der lebensgefährlichen Körperverletzung als auch der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung beschuldigt. Den beiden deutschen Genoss*nnen wird eine Unterstützung, sowie ebenfalls die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen.
Wie sind die Haftbedingungen, und können sie von solidarischen Unterstützer*innen besucht werden?
Wie man sich denken kann, sind die Knastbedingungen in Ungarn ziemlich beschissen, um nicht zu sagen katastrophal. Es gab keine richtigen Klamotten und Schuhe, kein warmes Wasser und nur alle paar Tage maximal fünf Minuten Duschzeit, dafür extreme Feuchtigkeit in den Zellen. Hinzu kommt eine schlechte bis nicht vorhandene medizinische Versorgung, üble hygienische Zustände und die zunehmende Kälte der ungarischen Wintermonate. Wie man darüber hinaus behandelt wird, hängt stark von der Laune der jeweiligen Wärter*innen ab. Bis Oktober durfte Ilaria mit niemandem Kontakt haben, außer ihrem Anwalt. Von da an war es ihr gestattet, ihre Eltern und ihren Partner einmal im Monat zu sehen und mit ihnen Briefe und Anrufe auszutauschen. Diese Personen sind jedoch die einzigen, die Ilaria besuchen, Briefe schreiben, anrufen oder Päckchen schicken dürfen. Sie kann also keinen Kontakt mit weiteren solidarischen Leuten oder ihren Freund*innen haben.
Welche Formen von Solidaritätsarbeit sind unter diesen Umständen überhaupt direkt vor Ort möglich?
Tatsächlich gestaltet sich die Soliarbeit direkt in Ungarn mehr als schwierig. Der überwiegende Teil der Arbeit geschieht aus der Ferne. Das liegt zum einen an der räumlichen Distanz, aber auch daran, dass es in Budapest und Ungarn allgemein an einer breiten solidarischen antifaschistischen Basis fehlt, die unterstützen könnte. Auch deshalb wäre eine Auslieferung der deutschen Beschuldigten nach Ungarn so fatal.
Welche Solidaritätsaktionen gibt es international?
International gibt es vor allem Solidaritätsbekundungen in Form von Graffiti, Bannern oder Solifotos. In Italien gibt es eine solidarische Prozessbegleitung für den im November verhafteten Genossen Gabri. Auch in mehreren Städten in Deutschland gab es bereits Veranstaltungen in Bezug auf die Repressionen und die neueste Verhaftung von Maja im Dezember. Wir freuen uns über jegliche Unterstützung, die uns und die Beschuldigten erreicht!
Um weitere vermeintlich beteiligte Antifaschist*innen ausfindig zu machen, schrieben die ungarischen Behörden mehrere Genoss*innen zur Fahndung aus. Wie lief das ab, und wie waren die internationalen Reaktionen darauf?
Die ungarischen Behörden ließen mit den Fahndungen der Antifas nicht lange auf sich warten. Bereits wenige Tage nach den Angriffen veröffentlichten sie Fotos und Namen der ersten Beschuldigten. Übernommen haben das nicht nur bereitwillig rechtsradikale X-Accounts oder extrem rechte Onlinezeitungen, sondern auch die bürgerliche Presse in Deutschland. Das gleicht einer deutschen Öffentlichkeitsfahndung, nur durch die „Hintertür“. Mit bereits allzu bekannten Diffamierungen und der medialen Inszenierung einer „neuen RAF“ wird versucht, die Beschuldigten zu isolieren. Am 25. September des letzten Jahres begann dann die bundesweite Öffentlichkeitsfahndung eines Gesuchten – mit bisher unbekanntem Ausmaß. Der Beschuldigte konnte seinen Namen, sein Foto und den Aufruf seiner Auslieferung an die Behörden auf riesigen Werbebild schirmen in Bahnhöfen, Einkaufszentren, Behörden, in allen großen deutschen Zeitungen und sogar zum Teil als Push-Benachrichtigung auf dem Handy entdecken. Viele Neonazis beteiligten sich allzu gerne an diesem Aufruf und lobten zusätzlich zu den 10.000, Euro des LKA Sachsen ein eigenes Kopfgeld aus. Im November 2023 wurde Gabri in Italien verhaftet.
Was wird ihm vorgeworfen, und wie ist seine Situation?
Die Vorwürfe gegen Gabri sind etwas undurchsichtig aufgrund verschiedener bürokratischer Hürden. Ihm wird vorgeworfen ebenfalls an einem der Angriffe beteiligt gewesen zu sein, jedoch wird der genaue Kontext nicht konkretisiert. Gabri ist zur Zeit im Hausarrest und darf lediglich von seinen Eltern und seinem Anwalt besucht werden. Er darf keine Briefe oder anderweitige Kontaktaufsuche erhalten. Die Entscheidung über eine Auslieferung nach Ungarn steht noch aus, dafür ist die nächste Anhörung vor Gericht am 16. Januar angesetzt. Leider kann zu diesem Zeitpunkt keine Aussage darüber getroffen werden, wie sich der Richter entscheiden wird.1Das Gericht hat die Auslieferung abgelehnt. (Fußnote von Antifa-Info.net) Allerdings ließ der Richter die Anhörung bereits mehrere Male vertagen, um konkrete Infos über die Haftbedingungen in Ungarn zu prüfen und sich Garantien über den Ablauf des Prozesses in Budapest einzuholen.
Seit 11.12.2023 ist eine weitere beschuldigte Person in Untersuchungshaft, Maja. Wie lief die Verhaftung ab?
Maja wurde bei dem Zugriff der Polizei durch eine Glastür geworfen und hat sich folglich verschiedene Schnitte und Schürfwunden zugezogen. Unmittelbar nach der Verhaftung fanden mehrere Hausdurchsuchungen bei Angehörigen der betroffenen Person in Jena statt. Maja befindet sich seit dem 12. in Untersuchungshaft, kann Briefe erhalten und Besuch von der Familie bekommen – das freut uns sehr. Aber auch Maja droht eine Auslieferung nach Ungarn und damit nicht nur noch schwerer auszuhaltende Knastbedingungen, sondern auch ein deutlich höheres Strafmaß, also eine längere Haftzeit!
Ende Januar soll in Budapest der Prozess beginnen. Wie lange soll er dauern? Welche Strafen stehen dabei im Raum?
Der Prozess Ende Januar betrifft den deutschen und die italienische Genossin in ungarischer Haft sowie die Genossin, welche unter Auflagen wieder entlassen wurde. Für die beiden deutschen Genoss*innen wird wegen Mitgliedschaft und Unterstützung einer kriminellen Vereinigung zwischen drei und fünf Jahre Knast gefordert. Da der italienischen Genossin zusätzlich die Beteiligung an mindestens einer Körperverletzung vorgeworfen wird, fordert die ungarische Staatsanwaltschaft in ihrem Fall eine völlig realitätsferne Strafe von elf Jahren! Wie genau der Prozess ablaufen wird oder wie lange er sich zieht, ist unklar. Die Justiz in Ungarn hat in der Vergangenheit deutlich gemacht, wie sie sich in puncto Antifaschismus positioniert und es wird sich im Prozess zeigen, welche Strategien der Anwält*innen sich bewähren. Wir hoffen darauf, dass die Betroffenen schnellstmöglich in ihre Heimatländer zurückkehren dürfen.
Die Rote Hilfe ist eine linke Solidaritätsorganisation. Sie unterstützt strömungsübergreifend linke Aktivist:innen, die von den Repression betroffen sind durch Beratung, Vermittlung solidarische Anwält:innen und finanziell. Hier findest du eine Liste der Ortsgruppen und hoffentlich auch eine in deiner Nähe. Wie du Mitglied werden kannst, erfährst du hier – geht total easy und ist empfehlenswert. Damit unterstützt du auch andere Betroffene und erhälst außerdem quartalsweise die Rote-Hilfe-Zeitung direkt nach Hause.
- 1Das Gericht hat die Auslieferung abgelehnt. (Fußnote von Antifa-Info.net)